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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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seiner Sicht verständlich. Musikalisch interessieren ihn weder Politik und Geschichte noch Patriotismus und Vaterland. Überhaupt sieht Storm die Politik eher mit teilnahmslosem Blick. Empfindlich und engagiert reagiert er immer erst, wenn sie ihm auf den Pelz rückt. Storm lebt weniger den politischen als den pädagogischen Eros, er war von einem Verantwortungsgefühl beseelt, das ihn als Gebildeten und künstlerisch Begabten für die Gemeinschaft tätig werden ließ. Der Wunsch nach Geselligkeit, künstlerischer Ehrgeiz und ein oft geradezu überspannter volkserzieherischer Gedanke trieben ihn und seine Vereinsmitglieder an. Last but not least gefiel Storm der gemischte Chor auch deswegen, weil sich damit Frauen um ihn scharten, die seine von der Mutter geerbten schönen blauen Augen mochten und mit ihren Augen an seinem Taktstock hingen. Allerdings: Im Punkte des Geradehaltens war er von unverbesserlicher Bequemlichkeit. Mund und Nase waren nicht schön .
    Storm hatte keine systematische Musikausbildung genossen. Er war und blieb musikalischer Laie, der schon in jungen Jahren jede Gelegenheit suchte, um mitzusingen und selber vorzusingen, der ein Klavier brauchte, um seine Stimmung in Musik zu übertragen und sich daran zu berauschen. Den musikalisch besser Begabten und Befähigten bewunderte er ohne Neid und Eifersucht. Mit welcher Meisterschaft er selber seine Begabung praktizierte, darüber lässt sich nur spekulieren. Ich übe wieder ordentlich, wenn auch nur ½ Stunde täglich und bringe es dahin , e ine Beethovensche Sonate (f-moll) recht brav zu spielen , schreibt er seinen Eltern. Gemeint haben kann Storm nur die erste von den beiden f-Moll-Sonaten, Sonate Opus 2, Nr. 1; denn die andere, die »Appassionata«, Opus 57, ist pianistisch nur schwer zu meistern, Opus 2 ist schon schwer genug.
    Sein Tenor aber muss ziemlich gut gewesen sein, denn Storm sang in seinem Chor Solopartien aus Opern, immer wieder gern die Arie des Max aus dem »Freischütz«. Die berühmte Sängerin Pauline Viardot-García (1821–1910) rief ihm in Baden-Baden ein Bravo, Herr Storm zu, als er das von ihr vertonte Gedicht eines russischen Lyrikers sang und sie ihn auf dem Flügel begleitete. Das Urteil der Viardot hat Gewicht. Sie war mit ihren Matineen in Baden-Baden der kulturelle Mittelpunkt, wo Europas Hautevolee mit königlichen Hoheiten, Staatsmännern, Dichtern und Denkern ihr zu Füßen lag und applaudierte.
    Storm verstand auch etwas von Gesangspädagogik. Während der Verlobungszeit konnte er seiner Braut Constanze, die in einem Segeberger Chor mitsang und einen schönen Alt hatte, fernbrieflich von Husum aus kluge und fachkundige Ratschläge für die Ausbildung ihrer Stimme geben. Und er hat sich auch als Komponist betätigt, von mindestens fünf Lied-Kompositionen ist die Rede, zwei davon sind erhalten. Als Komponist muss Storm sich nicht so wohl gefühlt haben wie als Sänger und Dirigent; denn sonst hätte er sicher mehr komponiert. Was von ihm in Noten geschrieben wurde und überliefert ist, schätzen Fachleute etwa so ein, wie er selber sein Klavierspiel bezeichnet: recht brav.
    Storm ist allerdings ein hingebungsvoller und durchsetzungsfähiger Dirigent, der auf vollzähliges und pünktliches Erscheinen seiner Chormitglieder achtet und die Übungsabende nicht zu Stammtisch-Treffs verkommen lässt. Er selbst versäumt keinen Übungsabend, weder wegen schlechter Gesundheit noch wegen schlechten Wetters. Er dirigierte mit sicherer und fester Hand und konnte sehr heftig werden, das äußert eine Sängerin. Er dirigiert mit Feuer und Flamme, reagiert jähzornig, wenn mal etwas nicht gelingen will, und seine Schwester Helene kriegt von seinem Jähzorn vor aller Augen eine Breitseite. Am Ende klappt Storm den Klavierdeckel zu, zieht wortlos seinen Mantel an und stürmt hinaus. Für all das respektiert und bewundert ihn sein Chor, der nach den Übungsabenden noch Tee trinken, Konfekt essen und tanzen gehen will.
    Den ersten Auftritt hat der Singverein in der Fünftausend-Seelen-Stadt Husum noch im Gründungsjahr: Montag den 21. August, auf dem hiesigen Rathaussaale Concert zum Besten der Warteschule [Vorschule oder Kindergarten] . Einer von Storms Lieblingskomponisten steht auf dem Programm: Mendelssohn mit »Morgengebet« und »Jägers Abschied«. Das »Husumer Wochenblatt« spart nicht mit Lob: Der erst kürzlich zusammengetretene Singverein lieferte den Beweis, daß mit Eifer und Lust in kurzer Zeit sich erfreuliches

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