Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
sich mit Pferde- und Schafdiebstahl. Dänisch lernen muss er bekanntlich nicht; was er sich aneignen muss, ist das Juristen- und Kanzleidänisch. »Papa Falk«, Professor für Deutsches und Schleswig-Holsteinisches Recht in Kiel, ist für Storm ein alter Bekannter, und die Prüfung Ende November 1842 ist keine Herausforderung. Dies Examen dauerte beiläufig gesagt Morgens von der ersten Tasse Thee gerade zur zweiten, schreibt er Mommsen. Und der »Etatsrath ord. Prof. d. Rechte Dr. Falck« notiert, daß Herr Candidat Storm nicht nur das Dänische mit guter Aussprache liest, sondern auch sowohl poetische als prosaische Stücke mit vollkommener Sicherheit richtig und fertig übersetzen kann.
Schon drei Tage später schickt Storm das Gesuch an den dänischen König, in dem er um Zulassung als Rechtsanwalt bittet. Von der inspirierenden, lebendigen Sprache, die den Storm-Mommsen-Briefwechsel so wohltuend durchzieht und so lesenswert macht, spürt man hier nichts: Der Candidat der Rechte Theodor Storm aus Husum bittet Eure Königl. Majestät allerunterthänigst, Allerhöchstderselbe wollen allergnädigst geruhen, ihm seine Bestallung als Advokat der Herzogtümer Schleswig und Holstein zu ertheilen.
Anfang 1843 erhält Storm die Bestallungsurkunde als »Untergerichtsadvocat«. Im April 1843 eröffnet er eine eigene Kanzlei in einer gemieteten Wohnung bei Kaufmann Carl Ernst Schmidt, nicht weit weg von der Hoh-
len Gasse, in der Großstraße 10, ein stattliches Haus mit schönem Renaissancegiebel, wie man auf einem Bild noch sehen kann. Storm bewohnt das Hinterhaus. Er annonciert im »Husumer Wochenblatt« und unterschreibt die Anzeige mit seinem Doppelnamen »Woldsen Storm, Advokat«. In sei-
ner Kanzlei beschäftigt er den Schreiber Peter Söt, in seinem Junggesellenhaushalt wirtschaftet »Tante Brick«, eine Freundin der Familie. Storm hat
ihr ein Denkmal gesetzt in seiner ersten Novelle: »Marthe und ihre Uhr« (1847).
Warum Storm nicht in der Kanzlei seines Vaters blieb? Beide wussten zu genau: Das kann auf die Dauer nicht gutgehen. Vater Storm war von eher praktischem Verstand, ein harter Arbeiter, ein ausgeprägter Ichmensch, jähzornig, auch rücksichtslos, stark und noch im Vollbesitz all seiner Kräfte, der die Kanzlei auch ohne Kompagnon im Geschäft halten konnte. Ihm war die künstlerische Ader seines ebenfalls ichsüchtig, jähzornig und rücksichtslos veranlagten Sohnes verdächtig, er sah darin wohl auch die Ursache für dessen mangelnde Zielstrebigkeit im Studium. Berufliche Selbständigkeit, Selbstverantwortung und harte Arbeit, so mag Vater Storm gedacht haben, seien das Beste für den Sohn, um den Leichtsinn zu bändigen und damit die Anerkennung bei Kollegen, Gerichten und der Husumer Gesellschaft zu erwirtschaften.
Mit meiner jungen Praxis geht es gut , schreibt Storm an Mommsen. Es geht langsamer und schwerer als ich es mir dachte , schreibt er ein Jahr später an seine Braut. Ich kann nicht gerade sagen […], daß es schlecht geht mit der Praxis, heißt es ein weiteres Jahr später. Klientenbesuche und Gerichtstermine, Aktenstudium und Diktat füllen nicht allein sein Leben aus. Nachmittags, zur Teezeit, geht er zu Eltern, Großmutter und Geschwistern in die Hohle Gasse. Im elterlichen Garten, am Wäsche-Bleichplatz, überfallen ihn Erinnerungen aus seiner Schul- und Jugendzeit.
Abends amüsiert er sich wie in Studentenzeiten bis Mitternacht mit Familie, Freunden und Bekannten. Nach dem Tee kommen die Karten auf den Tisch. Die älteren Damen spielen »Whist«, die Jugend »Landsknecht« und »Vingt et un«. Die Herren sitzen beim »L’Hombre«, das damals das beliebteste Kartenspiel Deutschlands war. Ab zehn Uhr ruhen die Karten, das Essen kommt auf den Tisch. Männer halten Reden zwischen den Gängen. Männer sprechen einen Trinkspruch und stoßen an auf das Wohl des Hauses. Dann wird getanzt.
Wieder gel’hombert aber verloren , schreibt Storm an seine Braut Constanze Esmarch aus Segeberg; Die beiden sind seit einem halben Jahr verlobt. Oft genug geht er mit Spielschulden nach Hause. Die hatte er schon in Kieler Zeiten auf dem Buckel, und damit ist er von Kiel nach Husum wie vom Regen in die Traufe gekommen. Insgesamt stehen 250 Taler zu Buche, nicht wenig, wenn man bedenkt, dass Storm den Jahreslohn seines Dienstmädchens mit 22 Talern veranschlagt. Ein Deichbeamter verdient damals 480 Taler jährlich. Storms Mutter verbrauchte für ihren großen Haushalt 300 Taler im Jahr.
Storm hält
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