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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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dreier Freunde« liegt nun auf dem Tisch.
    Inzwischen hat auch Mommsen sein Examen und ist schon in Altona am Mädchenpensionat seiner Tanten als Dozent tätig. Das Sammeln von norddeutschen Sagen und Märchen geht weiter. Ausführlich und kritisch wird das Projekt erwogen, Texte werden aufgeschrieben und sprachlich in Form gebracht. Sammeln, die Erfindung der Romantik, ist in Mode gekommen, auch an der Westküste Schleswig-Holsteins. Storm gewinnt als Mitarbeiter sogar den Hausarzt der Familie, Dr. Wülfke, der sich in der friesischen Sagenwelt auskennt. Den Großteil der Sammlung steuert der Sylter Lehrer Christian Peter Hansen (1803–1879) bei, der für sich um 1830 die Sagenwelt der Nordfriesen entdeckte und das, was ihm zu klein und unbedeutend erschien, in phantasievoller Weise überhöhte. Vater Storm aber will auch von Sammeln und Sagen nichts wissen: Na Gott bewahre mich!
    Schon jetzt erwähnt Storm die Geschichte vom Schimmelreiter in einem Brief an Mommsen : Ich hab Ihnen früher erzählt, wie es Abends an unsern Deichen und am Strande ist; […] immer, wenn ich abends allein dagewesen, hat es in mir zu diesen unheimlichen Gestalten angesetzt, die in den mir über alles unheimlichen Deich- und Strandsagen ihre volle Verkörperung erhalten. Der Schimmelreiter, so sehr er auch als Deichsage seinem ganzen Charakter nach hierher passt, gehört leider nicht unserm Vaterlande; auch habe ich das Wochenblatt, worin er abgedruckt war, noch nicht gefunden.
    Der »Schimmelreiter« verfolgt Storm also von Jugend an, immer wieder hat er vergebens […] jenen Blättern nachgeforscht, schreibt Storm im ersten Absatz seiner letzten großen Novelle. Am Ende seines Lebens, bei der Textarbeit, schlägt seine Erinnerung den richtigen Bogen und findet das Gesuchte. Als mögliche Quelle erwähnt er »Pappes Hamburger Lesefrüchte«, die er bei seiner Urgroßmutter, der alten Frau Senator Feddersen, in Husum gelesen haben will. Viel später, erst 1939, wird der Sachverhalt endgültig geklärt: In einem Nachdruck der Zeitschrift »Danziger Dampfboot« ist die Sage »Der Gespenstige Reiter« 1838 in den »Lesefrüchten« abgedruckt worden. Dieser Reiter trieb sein Unwesen auf den Weichseldeichen Ostpreußens, also weit entfernt von Storms Nordsee. Storm hat sehr wohl gewusst, nicht aber in Rechnung gestellt, dass seine Urgroßmutter zum Zeitpunkt des Abdrucks schon seit neun Jahren tot war; sie starb 1829, bei ihr kann er also die Sage nicht gelesen haben. So tritt gleich im ersten Absatz der Schimmelreiter-Novelle die Dichtung neben die Wahrheit.
    Die Sage vom Reiter auf dem Deich kommt also nicht in die Sammlung, an der Storm und die Mommsens arbeiten. Teile des bisher aufgelesenen Materials werden zuerst veröffentlicht in den Volksbüchern des Friedrichstädter Lehrers und Publizisten Karl Leonhard Biernatzki. Bald aber übernimmt das Projekt der ebenso tüchtige wie ehrgeizige Kieler Germanist Karl Müllenhoff, ein Dithmarscher Dickschädel, der selber sammelt und sich als Mitherausgeber angeboten hat. Das kommt Mommsen gerade recht, denn der dänische König hat ihm ein zweijähriges Italien-Stipendium bewilligt, den langen blonden Mommsen drängt es zu den Stätten der römischen Geschichte, deren Bearbeitung ihm später, lange nach Storms Tod, noch Weltruhm einbringen wird. Hinzu kommt: Zwischen Husum und Kiel geht die Redaktion des Sammel-Unternehmens brieflich hin und her. Das ist beschwerlich und umständlich. Storm ist ebenso starrköpfig wie Mommsen, Storm ist naiv und gutgläubig, Mommsen raffiniert und berechnend. Die Sache gehöre in eine führende Hand, meint Mommsen und drängt Storm, nicht ohne Druck auszuüben, die gesammelten Werke Müllenhoff zu überlassen, bis Storm klein beigibt. Er scheut auch nicht davor zurück, Storm bei Müllenhoff anzuschwärzen: Storms Flauheit ist allerdings empörend. Müllenhoff ist aber der richtige Mann. Er nimmt die Zügel fest in die Hand und führt das Werk zum guten Ende. In seinem Vorwort nennt er voller Anerkennung Storm und Mommsen als entscheidende Wegbereiter der Sammlung »Sagen, Märchen und Lieder der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg«; sie erscheint 1845 in Kiel.
    Der frischgebackene Jurist Storm hat in der Kanzlei seines Vaters Beschäftigung gefunden. Er besorgt Briefe und Eingaben, er bearbeitet eine Klage. Er hilft aus beim Landvogt, der im Namen des dänischen Königs die polizeiliche und richterliche Gewalt in Husum ausübt. Storm beschäftigt

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