Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Intellektuellen aus Husum, interessieren und fesseln, für die er auch Constanze begeistern will. Daneben interessieren ihn Geschichten aus dem Volk: Sagen, Märchen und Lieder, und die sind auch für Constanze geschrieben.
Hegel, Feuerbachs großer Lehrmeister, kommt bei Storm nicht vor. Schopenhauer taucht nur am Rande auf, so als sagte ihm dessen grandiose Gedankenwelt nichts. Zum Thema »Tod und Ewigkeit« hätte er von diesem Philosophen einiges hören können. »Philosophisch« hätte Storm sich ebenfalls von Immermann anregen lassen können, der lag ihm näher. Der wirft als kulturkritischer Schriftsteller in seinen »Memorabilien« nicht nur einen fundiert geschulten Blick auf die europäische und deutsche Literatur, sondern erzählt auch kenntnisreich von der Philosophie und ihren großen Gestalten am Beispiel von Johann Gottlieb Fichte.
Storm hat keinen »Draht« zur Philosophie. Nicht verwunderlich, denn er ist kein analytisch-philosophischer, sondern ein phantastisch-poetischer Kopf. Sein Verlangen nach Systematik ist schon in der Musik, seiner Lieblingsnebenbeschäftigung, begrenzt. Harmonie- und Satzlehre stimmen ihn verdrossen, weil Mathematik nicht zu seinen Stärken zählt. Philosophie ist ihm da ebenso wenig geheuer, und er hält sie sich vom Leib wie Goethe, der seinen Mephisto sagen lässt: Denn wo Gespenster Platz genommen / Ist auch der Philosoph willkommen. Und noch im selben Atemzug, wie für Storm gesprochen, sagt der böse Mann: Willst du entstehn, entsteh’ auf eigne Hand!
Eifersucht
Seine irdische Liebe kann nur Wirklichkeit werden unter großen Schmerzen. Ein Dauerschmerz ist seine Eifersucht. Er behauptet zwar: Eifersüchtig kann ich niemals werden, denn ich bin zu stolz um einen Nebenbuhler für möglich zu halten , aber das ist Selbsttäuschung, typisch Storm; denn er sieht auch Nebenbuhler, wo keine sind. Nebenbuhler denkt er sich aus, wenn Constanze allein in ihrem puren Hemdchen sitzt und einen Brief an ihn schreibt. Er ist eifersüchtig auf die eigenen Briefe, die Constanze unterm Kleid auf der Brust trägt. Er fürchtet, dass andere Deine süßen nackten Beinchen sehen könnten. Dein Körper ist nicht mehr Du allein, sondern Du entblößest zugleich mich, wenn Du es Dir tust . Komplimente für Constanze von »Courmachern«, die im Hause Esmarch zu Gast sind, hält Storm für Befleckung , nicht nur für Constanze, sondern auch für ihn.
Ein Eifersuchts- und Abrechnungspamphlet, »Gottfried August Bürgers Ehestandsgeschichte« (1812), steht in Storms Bibliothek. Diese Schmähschrift wurde achtzehn Jahre nach Bürgers Tod anonym veröffentlicht; sie jagt Storm nun Angst und Schrecken und Eifersucht ein. Er schätzte den Mann aus der Sturm-und-Drang-Zeit als Lyriker und Balladendichter, der ihm auch durch Constanzes Großvater Esmarch als Göttinger »Hainbündler« nahesteht. Auch muss Storm fasziniert haben, dass Bürger sich schon vor seiner ersten Hochzeit in die jüngere Schwester seiner Verlobten verliebte. Ja, schon, als ich mit ihr vor den Altar trat, trug ich den Zunder der glühendsten Leidenschaft für die Zweite, die damahls noch ein Kind, und kaum vierzehn bis fünfzehn Jahre alt war, in meinem Herzen .
Mit dreiundvierzig, nachdem seine ersten beiden Frauen gestorben waren, schloss Bürger die dritte Ehe mit einer Einundzwanzigjährigen, dem berühmt-berüchtigten »Schwabenmädchen« Elise Hahn aus Stuttgart. Die betrügt ihn laut »Ehestandsgeschichte« schon in den Flitterwochen, und die Ehestandsgeschichten des Dichters sind in Göttingen Stadtgespräch. In Briefen an seine Schwiegermutter und an seine Frau Elise komponiert er einen Roman seines Lebens. Wie viel Wahrheit ist in der Dichtung? Elise erlebt noch die anonyme Veröffentlichung. Nach der Scheidung betätigt sie sich als umherziehende Schauspielerin und Schriftstellerin; sie verfasst Gedichte und Theaterstücke und den Roman »Irrgänge des weiblichen Herzens«. Sie erblindet und stirbt 1833 in Frankfurt am Main. Herders Universallexikon von 1903 bezeichnet sie noch als untreues, gemeines Weib .
Kaum zu glauben, was Bürger seiner Schwiegermutter an Einzelheiten zumutet und in welchem Licht er ihr die Tochter, seine untreue Gattin, vorführt und mit welch rufmörderischer Schimpf- und Schanderede der Autor das eigene und zugleich das Interesse des Publikums bedient. Während Bürger seine Gattin Elise zur Hölle fahren lässt, lobt er sich selber in den Himmel und singt der Schwiegermutter gleich
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