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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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der Vater zum Kind: Wenn der liebe Gott Dir ein treuer Freund aus Deiner Kindheit ist, so sollst Du den meinetwegen nicht verlassen . Constanze betet auch für Theodor. Dabei, so bekennt sie, schweiften ihre Gedanken jedoch ab, und sie bleibe dann ganz bei Theodor. Wenn du herzlich für mich beten kannst, so darfst Du auch frei an mich denken; ist denn Liebe nicht eine göttliche Offenbarung? , antwortet Storm. Gegen den lieben Gott hat Storm nichts einzuwenden; nicht naturhaft-sinnbildlich wie der Agnostiker hat er ihn im Blick, sondern er erfasst ihn mit seinem Verstand, er kennt ihn: Gott offenbart sich ihm in der Liebe. Und er will damit vor allem sagen: Vertraue der Liebe.
    Kirche und Theologen, die Constanze braucht, um den lieben Gott zu verstehen, sind Storm lebenslang nicht geheuer. Da befindet er sich mit Goethe in bester Gesellschaft. Der folgende Satz aus einem Brief an Constanze könnte dem »Faust« entstammen und ist wie mit Mephisto-Zunge gesprochen: Aber um alles in der Welt, interessier Dich doch auf keine Weise für die stinkenden Theologen; ich kenn die Kerls alle miteinander; wenn wir in Berlin nach ihnen ein Auditorium bezogen, so half nichts, daß Fenster und Thüren aufstanden .
    »Das Hohelied« des Königs Salomo im Alten Testament, das Lied der Lieder, hat Storm mit seinem Zauber mitten ins Herz getroffen. Dieses Bibelstück redet in der Sprache leidenschaftlicher Liebe und offenbart sich damit ganz im Sinne des Stormschen Liebesideals. Constanze schreibt er davon einiges ab und kommentiert: das ist denn doch wohl ein so glühend sinnliches Liebesgedicht, das meine gefährlichen Reime weit dahinten läßt .
    Da hat Storm nicht ganz Unrecht: Das folgende Gedicht könnte zu seinen ganz großen zählen: Wer je gelebt in Liebesarmen, / Deß Herz kann nimmermehr verarmen; / Und müsst er sterben fern, allein, / Er fühlte noch die selge Stunde, / Wo er gelebt an ihrem Munde / Und noch im Tode wär sie sein. / Er hat gelebt in ihren Armen – / Wie könnte je sein Herz verarmen! Das Wort »verarmen« im zweiten und im letzten Vers steht da ohne Saft und Kraft in holprig gestalteter gleichlautender Reimbeziehung zu »Liebesarmen«, es entzieht den Versen Poesie und verdirbt alles.
    Erinnert nicht der Vers Und noch im Tode wär sie sein aus seinem Gedicht für Constanze an Taminos Vers in Mozarts »Zauberflöte«: Und ewig wäre sie dann mein? Storm kennt diese Arie, er hat sie im Kopf, er singt sie. Der »Liebestod«, den er im drittletzten Vers feiert und aufführt, weist auf Tristan und Isolde; die beiden kennt er schon als Oswald und Lisbeth aus dem Münchhausen-Roman von Immermann. Auch Lortzing lässt seinen Marquis in der von Storm geliebten Arie »Lebe wohl, mein flandrisch Mädchen« singen: Kann ich auch ewige Treue dir weihn! Das Wort »ewig« ist aus Operntexten nicht wegzudenken. Storm kennt sich da aus. Die Musik kann dieses Wort auf ihre Weise beglaubigen und ihren Apostel Storm noch fester an sein Liebesideal binden. Er trägt es bis in seine späten Novellen.
    Storm habe in der gedanklichen Ausarbeitung und inneren Hinwendung zu seinem Liebesideal unter dem Einfluss des Philosophen Ludwig Feuerbach (1804–1872) gestanden. Diese Meinung wird hier und da geäußert in der Storm-Biographik. Feuerbach formulierte seinen philosophischen Glauben in seinem einflussreichen »Das Wesen des Christentums« (1841): Der Mensch projiziere seine Wünsche und Sehnsüchte aus erlebter Liebe. In dieser Projektion finde er Gott. Menschliche Liebe werde auf diese Weise als göttlich erfahren. Gott sei ohne den Menschen also nicht denkbar. Das ist Wasser auf die Stormsche Gedankenmühle, die folgenden Gedanken drei Jahre nach Feuerbach herausmahlt: Liebe ist unmittelbare Gottheit.
    Feuerbachs Gedanken lagen auch in der Berliner Luft, Storm mag ihnen während seiner Studienzeit begegnet sein, er selber hat in seinen Briefen und Tagebüchern, soweit bekannt, nie den Namen Feuerbach erwähnt. Wahrscheinlicher ist, dass Storm Ideen und Denkanstöße der von ihm bewunderten Dichter und Komponisten aufnahm und fortspann. Eine illustre Gesellschaft, die Storms treffsicheres Gespür, seinen Künstlergeschmack und das Niveau seiner Bildung belegt, kommt zusammen: Bettine von Arnim, Brahms, Bürger, Byron, Dickens, Eichendorff, Fouqué, Freiligrath, Gluck, Goethe, Haydn, Heine, Heinse, Immermann, Lortzing, Mörike, Mozart, Jean Paul, Schiller, Scott, Sue, Tieck, Weber. Das sind die Geister, die ihn, den

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