Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
zweimal das Loblied auf die eigene Manneskraft: da ich ihr gewiß mehr als drei Mahl des Tages Genüge zu leisten im Stande war, und damit nicht genug: Zwei, ja drei Mahl des Tages habe ich Stunden lang ohne Ermüdung ihr fröhnen können.
Für Storm ist Bürger Futter für das nicht zu stopfende Maul Eifersucht. Er muss in dem Buch lesen, wie der eifersüchtige Bürger ein Guckloch in die Tür bohrt, um als Spanner mit lüsternem Verlangen an dem ausschweifenden Treiben der betrügerischen Ehefrau teilzuhaben. Storm schreibt Constanze: mir war, als hätt ich meine eigene Geschichte gelesen. Meine allbereiten Reime flüsterten mir ins Ohr: Wolle außer süßen Worten / Nur nichts mehr zu fodern wagen. / Ewige Liebe wird sie schwören; / Aber keinem Tanz entsagen.
Storm hat in seinem Gedicht »Hyazinthen« (1851) diese Stimmung eingefangen und dafür zwei Verse gefunden, die wie zur Beschwörung wiederkehren: Ich habe immer, immer dein gedacht, / Ich möchte schlafen; aber du musst tanzen . In der Novelle »Angelica« (1855) greift Storm auf die »Hyazinthen« zurück: Angelica geht, nachdem man sie überredet hat, allein »zu Ball«, Ehrhardt kommt nicht mit, weil er an seinen Geschäften arbeiten will. Dass sie gegen seinen Willen alleine zum Tanzen geht, empfindet sie wie eine geheime Schuld gegen den Geliebten.
Storm selber nimmt in Husum teil am gesellschaftlichen Leben, wie und wann er will. Er geht gern tanzen, er amüsiert sich, er macht Frauen den Hof, er verhält sich wie der Philister, den er so kritisiert. Eines Nachts begleitet er eine Chorsängerin nach Hause, und er berichtet Constanze: Laura war so aufgeregt und ängstlich, und bei jeder Begegnung hielt sie meinen Arm fest an sich und drückte ihre schlanke Gestalt ganz dicht an mich heran, und Du an meiner Stelle wärst mir gewiß untreu geworden .
Wer soll diesen Unterstellungen, diesen Vorwürfen standhalten? Der Mann taucht ab in selbstherrliche Entrücktheit. Im Liebes- und Frauendienst nimmt Storms Denken und Fühlen wahnhafte Züge an, er handelt dann wie in Knechtschaft und reagiert mit Psychoterror. Vom erstrebten Ideal ist diese irdische Liebe weltenweit entfernt.
Storm weiß: Es gibt keine tröstliche und befriedigende Antwort auf die nervenaufreibende Frage nach Sicherheit in der Liebe, und weil es keine gibt, muss er schreiben, Gedichte, Novellen, Briefe, um das Quälende erträglich oder vergessen zu machen.
Constanze ist ihm dabei Medium, das ihn mit Fragen herausfordert. Beim Antworten entwickelnden Schreiben kann er sich beruhigen. Meine Hitze hat sich merkwürdigerweise beim Schreiben etwas gegeben , schreibt er Constanze. Schreiben als Therapie – damit bringt Storm sich immer wieder ins Lot, und Constanze ist der ruhende Pol unter dem Lot. Es grenzt an ein Wunder, dass sie seinen überhöhten und überzogenen Ansprüchen widersteht. Sie fängt die stets auf der Kippe stehenden Stimmungen und den stets drohenden Verlust des seelischen Gleichgewichts ihres Geliebten ab. Am Ende ist es ihr Verdienst, dass Storm sie »heimführen« kann. Er hat diese Stärke Constanzes gespürt, hat sie selber immer wieder erfahren, in ihrer Beharrlichkeit und Echtheit, ihrem Wesen fast ohne Fehl und Tadel und in ihrer fast unerschütterlichen Liebe. Ihm ist klar: Eine Bessere find’st du nicht.
Mittagszauber
Der Juni bringt die ersten warmen Sommertage. Donnerstag, den 18. Juni hat Storm in Husum einen heißen erwischt. In der Nordsee erheben sich auf den Halligen die Warften mit ihren Strohdachhäusern, sie stehen höher als sonst in der flimmernden Luft. Kein Blatt rührt sich. Durch Windstille und Luftmeer ziehen die Duftströme der Blumen. Die leise Zeit des Sommermittags hat begonnen. Die Arbeit des Vormittags ist getan, der Nachmittag ist noch gar nicht auf der Rechnung. Man hat das Mittagsmahl eingenommen, vielleicht Rhabarbergrütze mit Milch. Der Rhabarber steht im Juni in voller Kraft, man greift ihn an seiner Stange und reißt ihn aus dem Wurzelstumpf. Man kocht Rhabarbergrütze und tut sie in eine große Schüssel, die Schüssel stellt man in den Keller. Dahin geht man an heißen Sommertagen, um sich eine Portion zu holen und kellerkalte Milch auf die Grütze zu gießen. Nicht vergessen: einen Esslöffel Zucker drüberstreuen und alles unter dem Vordach eines Lusthäuschens löffeln. Wenn der Teller leer ist, hat sich Müdigkeit im Körper ausgebreitet. Die Nase meldet überwiegenden Rosenduft, kurz danach wollen die Augen
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