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DU HÖRST VON MIR

DU HÖRST VON MIR

Titel: DU HÖRST VON MIR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luis Algorri
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Schatten durch die Dunkelheit huschen. José schien dies nicht aufzufallen.
    Als wir vor seiner Haustür ankamen, war es zehn vor fünf.
    »Also, der große Tag ist gekommen«, lächelte ich.
    »Ja.«
    »Geht's dir gut?«
    »Na klar«, er lächelte mich an und sah mir in die Augen.
    »Besser, als wir losgegangen sind?«
    »Ich denke schon«, er schwieg einen Moment und stupste mich leicht an die Schulter. »Was für ein Glück hat Ana, jemanden wie dich zu haben.«
    Auch ich sah ihn an. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Ich nahm seine Hand und drückte fest zu.
    »Na los, Bonaparte«, ich versuchte zu lächeln, »die Russen stehen früh auf, und du brauchst noch ein bisschen Ruhe, denn die verstehen keinen Spaß. Marsch ins Bett!«
    Er machte eine zustimmende Kopfbewegung.
    »Bis morgen, Javier.«
    »Bis morgen, Kleiner.«
    Er blieb stehen, als wartete er auf etwas.
    »Wünschst du mir nicht Glück?«
    »Nein, das brauchst du nicht. Los, ab nach Hause!«
    Sein Lächeln, seine vertraute Handbewegung zum Abschied, dann schloss sich die Glastür vor mir. Ich kalkulierte, wie lange er brauchte, bis er oben in der Wohnung angekommen war, stellte mir vor, wie er mit federndem Schritt immer zwei Stufen nehmen würde, so wie er es immer tat. Ich ging auf die andere Straßenseite, lehnte mich an die Hauswand und zündete eine Zigarette an. Das Licht in Zimmer wurde angeschaltet, ein, zwei Minuten, dann Dunkelheit. Ein unerträgliches Gefühl von Einsamkeit, von Scham, Scheitern und Durst überkam mich. Scheiße. Ich warf die Zigarette weit weg. Das ist alles eine verdammte Scheiße und ich bin ein Stück Scheiße.
    Ich lief schnellen Schrittes nach Hause, öffnete die Haustür, versteckte die Tasche mit den Schwimmsachen hinter der Gittertür des Fahrstuhls, ordnete mir vor dem Spiegel im Hausflur etwas die Haare und ging wieder hinaus in die frische Nachtluft. Ich überquerte entschlossen die Straße, lief  einige Meter über die hell erleuchtete Avenida und tauchte in die Dunkelheit des Parks ein. Ohne zu zögern, durchquerte ich die dichten Baumgruppen bis zum anderen Ende und lehnte mich an die Steinmauer unten am Ufer. Die Lichter auf der anderen Seite des Flusses spiegelten sich im Wasser, weit weg.
    Ich wartete, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Ich setzte einen Fuß angewinkelt an die Mauer und zündete eine Zigarette an.
    Hier und da begann ich, schwarze Silhouetten zu erkennen, die im Schutze der Dunkelheit langsam umherwandelten, sich manchmal kreuzten und manchmal verschwanden. Einer der Schatten schien sich dicht hinter einem nahe gelegenen Zaun zu befinden. Ich beobachtete ihn. Er kam ganz langsam in meine Richtung. Als er an mir vorbeikam, nur ein paar Meter entfernt, konnte ich ihn erkennen. Es war ein Mann von ungefähr fünfzig oder sechzig Jahren, dick, mit Brille. Er lächelte mir zu. Ich wand meine Augen ruckartig von seinem Blick ab und schaute nach rechts: Es gab nichts Traurigeres als einen armen Alten in Lederjacke und engen Hosen. Der Mann blieb etwas links von mir entfernt stehen, nahe der Brücke, lehnte sich auch an die Steinmauer und hörte nicht auf, mich anzuschauen. Ich rauchte weiter.
    Ein paar Minuten später tauchte ein weiterer Schatten auf.
    Dieser ging an uns vorüber, sah mich aus den Augenwinkeln an und machte es sich auch auf der Steinmauer bequem, nur ein paar Meter rechts von mir. Er war so um die zwanzig, blond, mit einer langen Strähne, die ihm die Stirn und fast das linke Auge bedeckte. Er trug offenbar absichtlich zerschlissene Jeans, und unter der Jeansjacke sah man seinen nackten Oberkörper. Den Blick fest auf die Lichter der Avenida geheftet, sah er mich kein einziges Mal richtig an.
    Es war nur eine Sekunde. Ich hörte die Schritte des Alten auf mich zukommen und entschloss mich, langsam zu dem Jungen rüberzugehen. Ich stellte mich direkt vor ihn.
    »Hast du Feuer?«
    »Ja, aber du rauchst doch schon, Mann.«
    »Ich weiß.«
    Er lachte. Ich erriet mehr, als ich sah, ein schönes Gesicht.
    Ich hatte den flüchtigen Eindruck, dass ich dieses Gesicht zuvor schon einmal gesehen hatte.
    »O.k., o.k. Aber du musst mir 'n bisschen aushelfen, ja? Du weißt schon... 'ne kleine Unterstützung, so zwei oder drei Scheinchen...«
    Dieser raue Ton, professionell, beleidigend. Ich nahm einen langen Zug an der Zigarette und warf sie dann weg.
    »Du weißt genau, dass um diese Zeit hier niemand auch nur einen einzigen Schein bei sich hat...«
    »Der da

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