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DU HÖRST VON MIR

DU HÖRST VON MIR

Titel: DU HÖRST VON MIR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luis Algorri
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sicher alle am Schlafen.«
    Er sah mich mit großen Augen an, den Kopf schüttelnd und mit offenem Munde lächelnd. Ich strubbelte ihm durchs Haar.
    Eine halbe Stunde später saßen wir beide in Badehose auf dem äußersten Rand des Sprungbrettes und rauchten. Unsere Füße baumelten zwei Meter über der dunklen Masse des Wassers. Außer uns war hier keine Menschenseele. Wir waren über das Eingangsgitter gestiegen und hatten uns auf dem Rasen umgezogen. Die hellen Laternen der Terrasse, die die ganze Nacht brannten, erhellten gerade noch schwach die weiter entfernten Rasenflächen und die Hecke. Uns umhüllte hier oben das Halbdunkel, in dem nur die Glut unserer Ziga retten leuchtete. Der Himmel war bezogen. José rauchte in langen Zügen.
    »Geht's dir gut?«, wollte ich wissen.
    »Klar, mir geht's sehr gut.«
    »Ist dir nicht kalt?«
    »Kalt? Ach Quatsch. Es ist doch überhaupt nicht kalt.«
    »Gut. Dann fangen wir jetzt an.«
    »Womit fangen wir an?«
    »Wolltest du nicht noch mal alles wiederholen?«
    »Hier? Sag mal, spinnst du?«
    »Du fragst mich und ich frage dich. Der Erste, der sich irrt, geht baden.«
    José lachte auf, warf die Zigarette ins Leere und zündete sich sofort eine neue an.
    »Wiener Kongress.«
    »Pah, das fragst du mich ja jeden Tag«, lachte er. »Achtzehnhundertvierzehn.«
    »Der Monat, José, der Monat!«
    »Ach so, September.«
    »Gut. Der Ideologe der Einigung Italiens.«
    »Hey! Jetzt bin ich dran!«
    »Ah ja, stimmt. Na dann, frag mich!«
    »Hm... Keine Ahnung, sonst fragst du mich ja immer...
    Warte mal, La Fayette.«
    Ich seufzte.
    »La Fayette war ein französischer General, der im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg für die Nordamerikaner kämpfte, die damals noch ein ganz langweiliges Volk waren und ihre Zeit mit Beten verbrachten«, ich nahm einen tiefen  Zug an der Zigarette. »Ein Romantiker in einer Epoche, in der es noch gar keine Romantiker gab, José. Ein Idealist. Stell dir Che Guevara im roten Kasack mit Goldknöpfen vor. Einer, der die Freiheit über alles liebte; einer, der von einer Welt träumte, in der die Menschen vor allem eines waren: glücklich. Frei und glücklich, José. Einer, der nachts um drei gekommen wäre, um sich mit dir und mir aufs Sprungbrett des Freibades zu setzen.«
    Ich zog meine Beine an und kreuzte sie vor mir auf dem groben Gewebe, welches das dicke Sprungbrett einfasste und lehnte mich mit meinem Rücken gegen seinen nackten Rü cken und ließ meinen Kopf langsam so weit nach hinten sinken, bis mein Nacken an seinem Nacken ruhte.
    »Und?«
    José antwortete nicht.
    »O.k. Ich erkläre die Antwort für gut. Mal gucken... der Vertrag von Utrecht«, setzte ich die Abfragerei fort.
    Ich spürte, wie José sich die Zigarette an die Lippen führte, langsam den Rauch ausstieß und leicht hustete, ohne seinen Kopf von meinem zu trennen.
    »José, sag jetzt nicht, dass du dich nicht an den Vertrag von Utrecht erinnerst.«
    »Du bist der beste Freund, den ich je hatte«, flüsterte er.
    Die Lichter der Stadt warfen ihren gelben Schein auf die Unterseite der Wolken. Ein fernes Rauschen kündete über unseren Köpfen vom Wind, der die Blätter der Pappeln bewegte. Ich schloss die Augen.
    »Falsche Antwort«, sagte ich und gab José einen kleinen Schubser. Inmitten der Stille der Nacht klang der Klatscher, mit dem José ins Wasser fiel, wie ein Kanonenschlag. Es  dauerte einen Moment bis Josés Kopf wieder an der Oberflä che zum Vorschein kam. Er ruderte unter mir mit den Armen.
    »Und wie ist die Beresina?«
    »Du kannst was erleben, wenn ich dich zu fassen kriege!«, schnaubte er. »Siebzehnhundertdreizehn!«
    »Was redest du da?«
    »Siebzehnhundertdreizehn! Der Vertrag von Utrecht! Und wir haben Menorca und Gibraltar verloren«, er spritzte mit der Hand mit Wasser nach mir. »Warte bis ich oben bin, dann werd ich's dir zeigen!«
    »Du willst Krieg, ja? Na dann pass gut auf, Bonaparte, hier kommen die Russen...«
    Ich machte einen Kopfsprung. Das Wasser war überraschend warm. Ich tauchte neben ihm ein, tauchte in der blauen Dunkelheit nach seinen Füßen, packte die Fesseln und zog ihn nach unten. Er wirbelte herum und griff mich um die Taille. Wir rangen einige Sekunden miteinander. Seine Haut fühlte sich unter Wasser an wie Seife. Wir kamen zurück an die Oberfläche und schnappen lachend nach Luft.
    »Und welcher König regierte?«, rief ich und manövrierte mich genau vor ihn.
    »Wo?«
    »Na, wo wohl? Hier!«
    »Na...«, schnaufte er und

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