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DU HÖRST VON MIR

DU HÖRST VON MIR

Titel: DU HÖRST VON MIR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luis Algorri
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Plakaten klebten, die längst vergangene Partys ankündigten, die große Uhr, die neun Uhr zwanzig anzeigte und die unlesbare Metalltafel mit den Ankunfts- und Abfahrtszeiten der Busse. Vor mir in der  Schlange stand ein altes Rentnerpaar, sie bei ihm untergehakt, er, mit einer ausgeblichenen Baskenmütze auf dem ergrauten Kopf, umklammerte ängstlich einen abgenutzten braunen Lederkoffer.
    »Hallo.«
    Ich drehte mich um und es durchfuhr mich wie ein Blitz.
    Ich hatte das unergründliche Lächeln von Ana direkt vor mir.
    »Hey, meine Süße«, ich wusste nicht, was ich sagen sollte,
    »was machst du denn hier?«
    »Das wollte ich dich fragen. Was machst denn du hier?«
    Ich versuchte, nicht nervös zu wirken, aber die Angst schnürte mir die Kehle zu.
    »Hast du eine Zigarette?«, fragte ich.
    Sie reichte mir die, die sie selber gerade rauchte.
    »Ich fahre ein paar Tage nach Cares.«
    »Mit José, oder?«
    »Ja, mit José.«
    »Ah ja. Und warum?«
    »Ich habe es ihm versprochen. Ich habe ihm gesagt, wenn er alle fünf Prüfungen besteht, dann fahren wir gemeinsam zu den Picos. Und er hat es geschafft.«
    »Wow. Toll, nicht?«
    Ich dachte mir, dass es besser sein würde, ihren ironischen Unterton lieber gar nicht erst zu beachten. Ich nickte einfach mit dem Kopf. Sie schaute mich weiterhin an, mit verschränkten Armen und ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken.
    »Wann bist du zurückgekommen?«
    »Vor zwei Stunden«, sagte sie kurz, »mit dem Zug. Ich habe dann einen Spaziergang hierher gemacht.«
    »Du warst noch gar nicht zu Hause?«
    »Nein.«
    »Hast du mir nicht vorgestern am Telefon gesagt, dass du erst in einer Woche zurückkommst?«
    »Ja, aber gestern Abend hab ich mit Mama telefoniert und von ihr die Neuigkeiten gehört. Wie es scheint, habe ich ja einen wirklich sehr schlauen Bruder, was? Und ich habe nichts davon gemerkt.«
    Die Alte vor uns in der Schlange schaute uns aus dem Augenwinkel an.
    »Bitte, du musst doch deswegen nicht laut werden.«
    »Ich werde nicht laut.«
    »O.k. Du wirst nicht laut. Sag, was willst du?«
    »Dass du hier bleibst. Dass du nicht fährst.«
    »Tut mir Leid, Ana, aber ich werde fahren. Oder besser gesagt: Es tut mir nicht Leid. Ich werde fahren«, sagte ich langsam. In diesem Moment sah ich José. Bleich, mit zwei Schachteln Zigaretten in der Hand, sah er uns vom anderen Ende der Halle aus an.
    »Schön, dann fahre ich mit euch.«
    Die Schlange kam ein paar Meter voran. Ich zog die beiden Rucksäcke hinterher.
    »Du kannst nicht in Mokassins zu den Picos fahren.«
    »Dann kauf eben noch keine Karten. Wartet halt, und wir fahren alle zusammen mit dem Bus um drei.«
    Ich sah, dass sie kurz davor war, in Tränen auszubrechen.
    Eine unendliche Traurigkeit kam in mir hoch.
    »Ana, nein. Wir fahren jetzt. Es tut mir Leid.«
    »Ach, jetzt tut es dir Leid? Eben hast du mir doch noch gesagt...«
    »Es tut mir Leid, dass ich dir wehtue. Aber sonst nichts.«
    »Na dann... Was du...«
    »Hallo Ani, wie geht's?«
    José war inzwischen bei uns – leichenblass und mit angestrengtem Lächeln – reichte mir eine Schachtel Zigaretten und gab seiner Schwester einen Kuss. Sie sah ihn an, ohne ein Wort zu sagen. Die Alten vor uns verließen den Schalter.
    Ich war an der Reihe. Ana fasste mich beim Arm. Ich sagte nichts.
    »Also, was darf's sein?«, der Typ am Schalter schaute mich durch seine schmutzigen Brillengläser an.
    »Fahr nicht, Javi. Bitte, fahr nicht«, flüsterte Ana und zog mich am Ärmel.
    »Zweimal nach Santa Marina«, sagte ich.
    »Wohin? Bitte sprechen Sie etwas lauter, ich kann Sie nicht verstehen.«
    »Javi, bitte!... Ich bitte dich...«
    »Nach Santa Marina. Zweimal«, meine Stimme klang rau.
    Ich holte mein Geld raus und bezahlte. Während ich auf die Fahrkarten wartete, bemerkte ich eine brüske Bewegung hinter mir, aber ich schaute stur auf den Fahrkartenverkäufer. Ich suchte krampfhaft nach einem Ausweg aus dieser idiotischen Situation. Du bist einfach nach Salamanca gefahren, ohne mir Bescheid zu sagen, bereitete ich mich vor, kalkulierend, wie ein dummer Schachspieler, dem immer, wenn er am Gewinnen ist, mit der Faust auf den Tisch geschlagen wird, du hast dich kaum gemeldet in der ganzen Zeit, hast nichts kapieren wollen, konntest nicht zugeben... Wie blöd, wie armselig würde all dies klingen. Ich merkte, dass ich vor Aufregung ganz rot geworden war.
    »Javier...«, es war die Stimme Josés, ich drehte mich jedoch nicht um.
    »Warte einen Moment.«
    »Javier,

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