Du kannst mich einfach nicht verstehen: Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden (German Edition)
sie ist, dann tut er das für sie. Das macht Margaret sogar noch wütender. Sie empfindet seine Prahlerei auf ihre Kosten als genauso unhöflich, als wenn sie es selbst tun würde, und alle Alternativen, die ihr zur Verfügung stehen, sind wenig reizvoll: Sie kann Charles’ Versuche, für sie zu reden, entweder ignorieren, oder sie kann ihn unterbrechen, was unhöflich wäre und außerdem der Solidarität, der sie sich ihm gegenüber verpflichtet fühlt, zuwiderlaufen würde; sie kann ihn an ihrer Statt reden lassen, was sie wie ein kleines Kind aussehen ließe, das nicht für sich selbst sprechen kann; oder sie kann sich beteiligen und so reden, wie sie nicht reden möchte – nämlich angeberisch.
Margaret glaubt, dass man sie nicht mögen wird, wenn sie prahlt; ihr wäre es lieber, die Leute würden von anderen erfahren, wie erfolgreich sie ist, und sie dann für ihre Bescheidenheit loben. Sie fürchtet auch, dass die Leute Charles nicht mögen, wenn er prahlt, und das beunruhigt sie, weil Charles und sie zusammengehören, sodass dieses Urteil auf sie zurückfallen würde. Charles dagegen glaubt, dass man ihn nur respektiert, wenn er deutlich macht, dass er Respekt verdient. Er denkt auch, dass die Leute Margaret mehr respektieren, wenn sie wissen, dass sie eine erfolgreiche Anwältin und nicht einfach nur seine Frau ist.
Sowohl Margaret als auch Charles beurteilen die Sprechweise des anderen als Ausdruck seiner Persönlichkeit – und beide bewerten den Konversationsstil des anderen mit moralischen Maßstäben. Margaret unterstellt, dass ein guter Mensch rücksichtsvoll und bescheiden ist. Charles hält die Zurschaustellung von Leistung für eine Notwendigkeit, nicht für eine Möglichkeit, und er sieht in Margarets Bescheidenheit eine dumme Selbstherabsetzung, ein Zeichen von Unsicherheit. Beide meinen, dass sie vom anderen lediglich erwarten, dass er sich gut benimmt, aber ihre Definition eines guten Menschen ist unterschiedlich, weil »gute Mädchen« und »gute Jungen« andere Ansprüche erfüllen müssen.
Mädchen und Frauen schrecken in bestimmten Situationen vor Prahlerei zurück; das zeigt sich an zwei bemerkenswert ähnlichen Beispielen aus ganz unterschiedlichen Kontexten. Ingmar Bergmans Szenen einer Ehe beginnt damit, dass ein Ehepaar von einer Frau namens Palm für einen Zeitschriftenartikel interviewt wird. Marianne und Johan reagieren sehr unterschiedlich auf Frau Palms Frage: »Wie würdet ihr euch selbst mit einigen wenigen Worten beschreiben?« Hier Johans Antwort:
Ja, es kann ja wie Aufschneiderei klingen, wenn ich mich selbst als äußerst intelligent, erfolgreich, jugendlich, ausgeglichen und sexy beschreibe. Als einen Mann mit Weltwissen, gebildet, belesen, als beliebten Gesellschafter. Ich weiß nicht, was mir noch einfallen soll – vielleicht kameradschaftlich. Ich bin auf angenehme Weise kameradschaftlich, auch gegenüber Leuten, denen es schlechter geht. Ich bin sportlich. Ein guter Familienvater. Ein guter Sohn. Ich habe keine Schulden und bezahle meine Steuern. Ich respektiere unsere Regierung, was immer sie auch anstellt, und ich liebe unser Königshaus. Ich bin aus der Staatskirche ausgetreten. Ist dies genug, oder willst du noch mehr Einzelheiten? Ich bin ein großartiger Liebhaber. Nicht wahr, Marianne?
Mariannes Antwort lautet:
Tja, was soll ich denn jetzt sagen. Ich bin mit Johan verheiratet und habe zwei Töchter.
Auch als sie bedrängt wird, lässt Marianne sich kaum mehr Informationen entlocken:
Marianne: Im Augenblick fällt mir nichts anderes ein.
Frau Palm: Denk nach. Ref 102
Marianne: Ich finde Johan ziemlich nett.
Johan: Danke, das war lieb.
Marianne: Wir sind seit zehn Jahren verheiratet.
Johan: Ich habe soeben den Vertrag verlängert.
Marianne: Ich habe vielleicht nicht die gleiche selbstverständliche Wertschätzung meiner Vortrefflichkeit wie Johan. Aber wenn ich ehrlich sein soll, so bin ich ziemlich froh, dass ich das Leben leben darf, das ich lebe. Es ist ein gutes Leben, wenn du verstehst, was ich meine. Nun, was soll ich denn sonst noch sagen. Oje, das ist schwierig.
Johan: Sie hat eine hübsche Figur.
Marianne: Du machst nur Witze. Ich, ich versuche, die Frage ernst zu nehmen. Ich habe zwei Töchter, Karin und Eva.
Johan: Das hast du eben schon gesagt. Ref 103
An dieses fiktive Gespräch musste ich denken, als ich den folgenden authentischen Dialog in Carol Gilligans Die andere Stimme las. Gilligan untersuchte die Herausbildung des
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