Du kannst mich einfach nicht verstehen: Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden (German Edition)
wieder. Die Rolle der Frau in dieser rituellen Konfiguration ändert sich nicht einmal, als sie als »Mutter von Menschen« schon lange ihre Fähigkeit bewiesen hat, andere zu beschützen.
Die Rigidität dieser rituellen Konstellation kommt in der Schlüsselszene der Verfilmung von Anne Tylers Die Reisen des Mr. Leary zum Ausdruck. Der Held Macon taucht aufgelöst und aufgewühlt in der Wohnung von Muriel auf, einer Frau, die ein romantisches Interesse an ihm bekundet hat. Macon erzählt Muriel vom schrecklichen Tod seines Sohnes und gesteht, dass er unfähig ist, darüber hinwegzukommen. Angerührt von seiner Geschichte, führt Muriel Macon zum Bett, um ihn in seinem vernichtenden Verlust zu trösten. Im Bett legt Macon sich auf den Rücken und hebt seinen Arm, um ihn um Muriel zu legen, die sich an ihn schmiegt. Beim Drehen dieser Szene hat der Regisseur offenbar das Gefühl, dass die Anforderungen der Konvention, die verlangen, dass der Mann die physische Position des Beschützers und Trösters einnimmt, stärker seien als die Anforderungen der in Frage stehenden Szene, in der Muriel Macon tröstet.
Die Körperhaltung, die Frauen und Männer einnehmen, wenn sie sich zusammen hinlegen, ist nur eine von vielen Aufstellungen aus einem ganzen Netzwerk von Asymmetrien, mit denen wir unsere Geschlechtsrolle inszenieren und gleichzeitig die Statusunterschiede zwischen Männern und Frauen verstärken. Goffman beschreibt diese Asymmetrien mit großer Eloquenz:
In allen Schichten unserer Gesellschaft geht noch der zärtlichste Ausdruck von Mitgefühl mit Darstellungen einher, die politisch fragwürdig sind und in denen der Platz, den die Frau einnimmt, ein anderer als der des Mannes und zu diesem reziprok ist. Liebevolle Gesten zwischen den Geschlechtern choreografieren stets das Verhältnis zwischen einem Beschützer und einer Beschützten, dem Umarmenden und der Umarmten, dem Tröster und der Getrösteten, dem Ernährer und der Ernährten, dem Spender von Liebe und Zuneigung und der Empfängerin dieser Gaben; und es wird als ganz natürlich angesehen, dass der Mann umfängt und die Frau sich umfangen lässt. Und dies gemahnt uns nur daran, dass die Herrschaft des Mannes von ganz besonderer Art ist – eine Herrschaft, die sich bis in die zärtlichsten, liebevollsten Momente erstreckt, offenbar, ohne Spannungen zu erzeugen: Ja, diese Momente können wir uns gar nicht frei von solchen Asymmetrien vorstellen.
Das Geschlecht ist eine Kategorie, die nicht verschwinden wird. Goffman weist darauf hin, »dass die Geschlechtszugehörigkeit zu den am tiefsten verankerten Merkmalen des Menschen gehört«. Mit unseren Verhaltensweisen erschaffen wir Männlichkeit und Weiblichkeit und glauben dabei die ganze Zeit, uns einfach nur »natürlich« zu benehmen. Aber unser Bewusstsein von dem, was natürlich ist, ist bei Frauen und Männern unterschiedlich. Und was wir als natürlich männlich und natürlich weiblich ansehen, beruht auf asymmetrischen Aufstellungen. Ref 125
Um es mit Goffmans Begriffen zu sagen, die Geschlechterbeziehungen sind dem Eltern-Kind-Komplex nachgebildet. Mit anderen Worten, die Art und Weise, in der wir versuchen, unser Geschlecht als gute Frauen und Männer zu inszenieren, ist in ihrer Bedeutung den Eltern-Kind-Beziehungen analog. Goffman weist darauf hin, dass Männer sich Frauen gegenüber verhalten wie Erwachsene Kindern gegenüber: Sie sind liebende Beschützer, die Türen aufhalten, Süßigkeiten anbieten, Sachen von hohen Regalen holen und schwere Lasten tragen. Aber die Privilegien der Kindheit sind untrennbar mit ihren Nachteilen verbunden: Die Aktivitäten von Kindern können jederzeit abgebrochen werden, ihre Zeit und ihr Territorium sind entbehrlich. Mit dem Privileg des Beschütztwerdens gehen der Verlust von Rechten einher und ein Mangel an Respekt. Der Beschützer wird als kompetent und tüchtig eingerahmt, als jemand, dem Respekt gezollt werden muss. Der Beschützte wird als inkompetent und untüchtig eingerahmt, als jemand, dem man mit wohlwollender Nachsicht begegnet.
Asymmetrien in Gesprächen: »Ich hab’s doch nur für dich getan«
Bei meinen Gesprächen mit Ehepaaren über die Kommunikation in ihrer Beziehung war ich überrascht, wie oft Männer sich auf ihre Rolle als Beschützer der Frauen bezogen, wenn sie erklären wollten, warum sie dies oder jenes gesagt hatten. Ein Ehepaar berichtete mir zum Beispiel von einem kürzlichen Streit. Der Frau war aufgefallen, dass ihr Mann
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