Du kannst mich einfach nicht verstehen: Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden (German Edition)
Getratsche dieser Frau ausschließlich negativ war: Sie lästerte über die anderen Frauen der Gruppe und machte sie madig. Störend war nicht, dass sie über andere redete, sondern dass sie schlecht über andere redete. Bei dieser Form des Klatsches distanzieren die Sprecher sich von den Leuten, über die sie reden, statt sie näherzubringen. Darüber hinaus kann man normalerweise davon ausgehen, dass jemand, der nur Negatives über andere erzählt, auch über einen selbst nicht viel Positives zu sagen hat, wenn man nicht dabei ist.
Klatsch in Form übler Nachrede steht in Beziehung zu einer sprachlichen Spielart, die Christine Cheepen »Sündenbock« nennt. Bei von ihr durchgeführten Gesprächsanalysen stellte Cheepen fest, dass schlecht über Abwesende gesprochen wurde, um Machtungleichgewichte, die während eines Gesprächs auftraten, auszugleichen. »Sündenbock« gab den Gesprächsteilnehmern die Möglichkeit, Gleichheit untereinander herzustellen, indem man sich gegen Dritte verbündete.
Bei den von Cheepen angeführten Beispielen war die dritte Partei, gegen die die Gesprächsteilnehmer gemeinsam Front machten, allerdings nicht einfach ein X-Beliebiger – es war der Vorgesetzte. Und das führt uns zurück zu dem Mann, der Klatsch für etwas Schlechtes hielt. Wenn das Gespräch über Dritte diese abwesende Person mit in den Raum holt, hat es einen verbindenden Zweck. Aber wenn man diese Person in den Raum holt, um sie herabzusetzen, geht es um Status. Bindung und Status operieren wie immer Hand in Hand, sodass beide Ansichten zutreffend sind. Man sieht dieselbe Szene aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
Frauen und Männer – wie sie sind
Welche Lösung gibt es also, wenn Frauen und Männer aneinander vorbeireden, ob es nun um Klatsch oder irgendein anderes Thema geht? Welche Kommunikationswege stehen uns offen? Die Antwort lautet sowohl für Männer als auch für Frauen, dass sie versuchen sollten, die andere Seite im Rahmen ihrer eigenen Gesetzmäßigkeit zu akzeptieren, statt die Maßstäbe der einen Gruppe auf das Verhalten der anderen zu übertragen. Das ist durchaus nicht »selbstverständlich«, denn wir neigen dazu, nach der einzig »richtigen« Vorgehensweise zu suchen. Verständlicherweise sind Experten dafür genauso anfällig wie alle anderen Menschen.
In einer überregionalen Talkshow mit Publikumsbeteiligung trat ein Psychologe auf, der Fragen zu Zweierbeziehungen beantwortete. Eine Frau aus dem Publikum beklagte sich über das Verhalten ihres Mannes: »Mein Mann unterhält sich immer mit seiner Mutter, aber mit mir redet er nie. Wenn ich wissen möchte, wie sein Tag war, bleibt mir nichts anderes übrig, als zuzuhören, was er seiner Mutter erzählt.« Der Psychologe antwortete: »Wahrscheinlich hat ihr Mann mehr Vertrauen zu seiner Mutter als zu Ihnen.« Ref 51
Dieser Kommentar bestätigte die Frau in ihren eigenen Vermutungen und schlimmsten Befürchtungen. Und die Behauptung des Psychologen war durchaus berechtigt und einsichtig – nach den Gesprächsregeln von Frauenfreundschaften: Die Freundin, mit der wir täglich sprechen, der wir all die kleinen Erlebnisse erzählen, die uns passiert sind, ist unsere beste Freundin. Doch wie einsichtig ist dieses Urteil aus der Perspektive des Mannes? Ich könnte wetten, dass der Ehemann es nicht für nötig hielt, etwas Besonderes zu tun, um die Beziehung zu seiner Frau zu vertiefen, schließlich war er täglich mit ihr zusammen. Aber seine Mutter war alleinstehend, und er machte ihr gern die Freude, ihr jeden Tag ein paar belanglose Kleinigkeiten zu erzählen, die sie offenbar gern hörte. Dass seine Mutter sich für solche Detailschilderungen interessiert, wird der Sohn wahrscheinlich verständlich finden, weil sie allein lebt und diese Unterhaltung als Ersatz für das wirkliche Leben braucht, so, wie sie sich zum Beispiel auch ans Fenster setzt, um das Treiben draußen zu beobachten. Dass seine Frau nach dieser Form der Unterhaltung verlangt, wird der Mann wahrscheinlich nicht verständlich finden. Obwohl es möglich ist, dass dieser Mann mehr Vertrauen zu seiner Mutter als zu seiner Frau hat, rechtfertigten die gegebenen Anhaltspunkte diese Schlussfolgerung nicht.
Der Therapeut beurteilte das Gesprächsverhalten des Mannes mit weiblichen Maßstäben. In gewisser Weise entsprechen therapeutische Wertvorstellungen eher dem allgemein mit Frauen als dem mit Männern assoziierten Gesprächsverhalten. Das erklärt vielleicht das Ergebnis einer
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