Du kannst mich einfach nicht verstehen: Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden (German Edition)
Sprechweisen im Streit
Wenn die Wege von zwei Menschen sich kreuzen, kommt es zwangsläufig zu Interessenkonflikten: Wir können nicht zu zweit auf derselben Stelle stehen, ohne dass einer dem anderen auf dem Fuß steht. Wenn keiner beiseite tritt, wird einer getreten. Zwei Menschen können nicht zu einer Einheit verschmelzen, wir haben unterschiedliche Wünsche und Vorstellungen, sodass Konflikte unvermeidlich sind. Weil nicht beide ihren Willen durchsetzen können, kommt es zu Machtkämpfen. Ref 64
Auf den ersten Blick scheint es so, als ob Konflikt das Gegenteil von Einvernehmen und Gemeinsamkeit sei. In vielen Untersuchungen über den unterschiedlichen Stil von Männern und Frauen wird behauptet, dass Männer wettbewerbsorientiert und streitlustig, Frauen dagegen kooperativ und auf andere bezogen sind. Aber auch das Austragen von Konflikten ist eine Möglichkeit, sich auf andere einzulassen. Obwohl es sicher wahr ist, dass viele Frauen in ihrem Sprachgebrauch dazu neigen, Gemeinsamkeit auszudrücken, während Männer dazu tendieren, Sprache als Mittel der Selbstdarstellung zu benutzen, ist die Situation in Wahrheit komplizierter, denn wenn die Selbstdarstellung Teil eines gemeinsamen Streits ist, zeugt sie auch von Verbundenheit. Konfliktbereitschaft kann also durchaus ein Zeichen von Anteilnahme und Interesse sein.
Die meisten Frauen sehen in Konflikten eine Bedrohung von Bindung, die um jeden Preis vermieden werden sollte. Sie regeln Meinungsverschiedenheiten am liebsten ohne direkte Konfrontation. Aber für viele Männer sind Konflikte ein notwendiges Mittel der Statusaushandlung, das sie akzeptieren und unter Umständen sogar bereitwillig und freudig in Kauf nehmen.
Der Wissenschaftler Walter Ong, der sich mit Kulturlinguistik beschäftigt, zeigt in seinem Buch Fighting for Life , dass »Gegnerschaft« (adversativeness) – d. h. ein Verhalten, bei dem eigene Bedürfnisse, Wünsche oder Fähigkeiten denjenigen anderer entgegengesetzt werden – ein wesentlicher Teil des Menschseins ist, dass aber »offen gezeigte oder ausgedrückte Gegnerschaft im Leben von Männern einen weit größeren Raum einnimmt als im Leben von Frauen«. Ong macht deutlich, dass ein gegnerschaftliches Verhalten, das Kampf, Auseinandersetzung, Konflikt, Konkurrenz und Streit umfasst, für Männer typisch ist. Das Verhalten von Männern ist von ritualisierten Kämpfen durchzogen, wie es sich besonders deutlich bei rauen Sport- und Wettkampfspielen zeigt. Frauen neigen dagegen eher zu einem vermittelnden Verhalten oder kämpfen lieber aus konkreten als aus rituellen Anlässen. Männerfreundschaften umfassen häufig einen großen Anteil freundschaftlicher Aggressionen, die Frauen leicht als echte Aggressionen missverstehen. Ref 65
Ong demonstriert, wie unauflöslich sprachlicher Akt und wettkampfmäßige Beziehungen miteinander verknüpft sind. Ein mündlicher Disput – von der formalen Debatte bis zum Studium formaler Logik – ist vom Wesen her immer kontrovers. So gesehen ist es ein Überbleibsel dieser Tradition, wenn Männer häufig zu der Erwartung neigen, dass Diskussionen und Streitgespräche sich an die Regeln der Logik halten sollten. Außerdem ist ein sprachlicher Akt, der der Selbstdarstellung dient – das, was ich Berichtssprache genannt habe –, Teil eines umfassenderen Gesamtverhaltens, nach dem viele Männer das Leben als Wettstreit begreifen.
Frauen, in deren Vorstellungswelt Kampfrituale kaum eine Rolle spielen, finden das Gegeneinander im männlichen Gesprächsverhalten oft verwirrend und übersehen die rituelle Bedeutung freundschaftlicher Aggression. Dabei kann die Demonstration von Gemeinsamkeiten genauso ritualisiert sein wie die Inszenierung von Wettstreit. Hinter der scheinbaren Gemeinschaft von Frauen können sich Machtkämpfe verbergen, und die scheinbare Übereinstimmung maskiert vielleicht tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten. Männer sind von weiblichen Sprachritualen häufig ebenso verwirrt wie die Frauen von männlichen. Diese Verwirrungen sind im Gesprächsleben von Paaren an der Tagesordnung.
»Sag mir nicht, was ich zu tun habe«
Eine Frau, die ich Diana nennen will, leitet ihre Aussagen häufig mit »Lass uns« ein. Sie sagt zum Beispiel: »Lass uns heute zum Brunch gehen.«, oder: »Lass uns alles wegräumen, bevor wir Mittag essen.« Nathan macht das wütend. Er hat das Gefühl, dass sie ihn herumkommandiert, ihm sagt, was er zu tun hat. Diana kann das nicht verstehen. Für sie ist
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