Du kannst mich einfach nicht verstehen: Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden (German Edition)
sich unter großem Aufheben auf die Suche nach einem roten Filzstift. Nachdem er sichergestellt hat, dass jeder am Tisch ihn beobachtet, probiert er nacheinander alle am Tisch vorhandenen Rotstifte aus und legt sie wieder beiseite, dann steht er auf und holt sich einen Filzer von einem anderen Tisch. Die Kinder an dem anderen Tisch beachten ihn gar nicht oder, was wahrscheinlicher ist, tun so, als würden sie ihn gar nicht beachten. Aber es dauert nicht lange, da fragt das Mädchen Antonia, das an diesem Tisch sitzt, laut: »Wo ist Rot?«, und dann begibt sie sich demonstrativ auf die Suche nach einem roten Filzstift und macht viel Aufhebens davon, alle Stifte am Tisch durchzuprobieren und missbilligend abzulehnen.
Damit beginnt das Drama. Corsaro und Rizzo beschreiben es folgendermaßen:
Antonia schlägt sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und schreit: »Wir sind bestohlen worden!«
Dieser Ausruf löst mehrere Dinge gleichzeitig aus. Roberto schaut von seiner Arbeit hoch und lächelt den anderen Kindern an seinem Tisch zu. Sie alle lächeln verschwörerisch zurück und signalisieren damit, dass sie wissen, was passieren wird. Gleichzeitig schauen mehrere Kinder vom dritten Tisch zu Antonias Tisch und dann schnell zu Robertos hinüber.
Schließlich springt Maria auf, die zu Antonias Gruppe gehört, zeigt auf Roberto und ruft: »Roberto war’s!« Augenblicklich marschieren Antonia, Maria und einige andere Kinder zu Robertos Tisch hinüber. Als sie sich nähern, greift Luisa nach sieben oder acht Filzstiften (einschließlich des von Roberto entwendeten) und versteckt sie unter dem Tisch in ihrem Schoß. Antonia beschuldigt Roberto offen des Diebstahls an dem roten Filzstift. Er leugnet die Tat, fordert Antonia und die anderen Kinder auf, den gestohlenen Stift vorzuweisen. Als Antonia und Maria nach dem Stift zu suchen beginnen, greift Bruna in die Auseinandersetzung ein, unterstützt von mehreren anderen Kindern vom dritten Tisch. Sie erklärt, Roberto habe den Stift tatsächlich gestohlen und Luisa verstecke ihn. Luisa schreit: »Das ist nicht wahr!« Aber Antonia fasst unter den Tisch und greift nach den von Luisa versteckten Filzern. An diesem Punkt hat die Auseinandersetzung ihren Höhepunkt erreicht, alles schreit, gestikuliert, schubst und stößt, bis der Lehrer einmal mehr vermittelnd eingreifen muss, um den Streit zu schlichten.
Diese Kinder zanken sich nicht um einen roten Filzer; es sind mehr als genug Stifte vorhanden. Wie Corsaro und Rizzo es formulieren – die Kinder möchten einfach lieber diskutieren als zeichnen. Und das gilt in italienischen Vorschulen für Mädchen offenbar ganz genauso wie für Jungen.
Um Freundschaft kämpfen
Im Gegensatz zu den Jungen und Mädchen der italienischen Vorschule, die das discussione – lautstarkes Debattieren aus Spaß an der Freude – gleichermaßen genießen, weisen amerikanische Mädchen und Jungen weit weniger Übereinstimmungen bei Konflikten auf. Eine oppositionelle Haltung ist bei Jungen weit häufiger ein Beweis von Verbundenheit und ein Mittel, um Freundschaften zu knüpfen, als bei Mädchen. Jungen necken ein Mädchen, wenn sie es gern haben, und drücken damit ihre Zuneigung auf kämpferische Weise aus. Ein typisches Beispiel ist die klassische Situation, wo der Junge das Mädchen an den Zöpfen zieht. Ich kenne kein Mädchen, das sich gern an den Zöpfen ziehen ließe, aber wenn sie den Jungen mag, sind ihr seine Aggressionen vielleicht lieber, als gar nicht von ihm beachtet zu werden. Das war der Fall bei dem polnischen Mädchen Eva Hoffman, die sich in ihrem Buch Lost in Translation – Ankommen in der Fremde an ihren Jugendfreund Marek erinnert: Ref 73 , Ref 74
Ich liebe ihn. Ich kann nicht ohne ihn sein, obwohl er mir manchmal richtig gemeine Jungenstreiche spielt: Er lässt ein enorm dickes Buch auf meinen Kopf fallen, wenn ich an seinem Fenster vorbeigehe, und einmal hat er versucht, mich im Wald in eine Grube zu schubsen, die die Deutschen dort ausgehoben hatten und in der vielleicht immer noch ein paar Minen liegen.
Mareks Verspieltheit war lebensgefährlich. Nichtsdestotrotz schreibt Hoffman in ihren Erinnerungen: »Wir können uns endlos unterhalten, und wenn wir mit anderen Kindern spielen, sind wir ein Team.« Und »trotz dieser gefährlichen Sachen, die wir beide anstellen, bin ich fest davon überzeugt, dass seine überlegene Körperkraft meinem Schutz dient«.
Für Jungen und Männer schließt Aggression
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