Du kannst mich einfach nicht verstehen: Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden (German Edition)
einem das Wort abschneidet, bevor man zum Zuge gekommen ist.
Weil der Vorwurf »Du hast mich unterbrochen« in persönlichen Beziehungen so weit verbreitet ist und weil dieser Vorwurf mit Fragen von Herrschaft und Kontrolle zusammenhängt, die für die Geschlechterpolitik von grundlegender Bedeutung sind, will ich im Folgenden näher auf das Verhältnis von Unterbrechung und Dominanz eingehen. Dafür ist es nötig, genauer zu untersuchen, durch was Gesprächsunterbrechungen entstehen und wie sie im Einzelnen beschaffen sind.
Unterbrechen Männer Frauen?
Die Wissenschaftler, die zu dem Ergebnis gekommen sind, dass Männer Frauen nicht ausreden lassen, haben Gespräche aufgezeichnet und die Unterbrechungen gezählt. Bei dieser Auswertung haben sie die Gesprächssubstanz, das heißt Gesprächsthema, Absichten des Sprechers, Reaktionen der Gesprächsteilnehmer aufeinander und Auswirkungen der »Unterbrechung« auf die Unterhaltung, nicht berücksichtigt. Die Unterbrechungen wurden stattdessen anhand mechanischer Kriterien ermittelt. Experimentelle Untersuchungen, bei denen etwas gezählt wird, benötigen mechanische Kriterien, um die zu zählenden Dinge definieren zu können. Aber den ethnografischen Wissenschaftlern – den Leuten, die die Menschen in ihrer natürlichen Umgebung bei den Dingen beobachten, die sie verstehen wollen – sind mechanische Kriterien ebenso suspekt, wie sie den experimentellen Wissenschaftlern lieb und teuer sind. Die Frage, ob eine Unterbrechung anhand mechanischer Kriterien zu ermitteln ist, bildet ein Paradebeispiel für diese unterschiedlichen wissenschaftlichen Standpunkte.
Der Linguist Adrian Bennett erklärt, dass »Überlappungen« sich objektiv feststellen lassen: Jeder, der einem Gespräch oder der Tonbandaufnahme eines Gesprächs zuhöre, könne entscheiden, ob zwei Leute auf einmal reden oder nicht. Doch ob man etwas als Unterbrechung beurteilt, hängt zwangsläufig davon ab, wie man die Rechte und Pflichten der jeweiligen Gesprächsteilnehmer interpretiert. Um zu entscheiden, ob ein Sprecher die Rechte eines anderen Sprechers verletzt, muss man eine Menge über die Gesprächspartner und die Situation wissen. Zum Beispiel: Worüber reden sie? Wie lange hat jeder von ihnen schon gesprochen? In welcher Beziehung standen sie bislang zueinander? Wie empfinden sie es, wenn man sie unterbricht? Und, das Wichtigste, welchen Inhalt hat der Kommentar des zweiten Sprechers in Beziehung zum ersten: Ist es eine Bestätigung, ein Widerspruch oder ein Themenwechsel? Mit anderen Worten, welche Absicht hat der zweite Sprecher? Scheinbare Unterstützung kann ein subtiler Angriff sein, und ein scheinbarer Themenwechsel kann ein indirektes Mittel der Unterstützung sein – wie zum Beispiel, wenn ein adoleszenter Junge nicht die Gelegenheit nutzt, seinen Freund zu bemitleiden, weil er die unterlegene Position des Freundes nicht unterstreichen will.
All diese und andere Faktoren haben Einfluss darauf, ob die Gesprächsrechte einer Person verletzt worden sind oder nicht, und, wenn ja, wie bedeutsam die Verletzung ist. Manchmal fühlt man sich unterbrochen, ohne dass es einem etwas ausmacht. Ein anderes Mal macht es einem eine ganze Menge aus. Verschiedene Sprecher haben verschiedene Gesprächsstile, einer der Gesprächsteilnehmer könnte sich also unterbrochen fühlen , sogar wenn der andere gar nicht die Absicht hatte. Ref 89
Mit dem folgenden Beispiel illustrierten Candace West und Don Zimmerman, wie ein Mann eine Frau unterbricht. In diesem Fall halte ich die Unterbrechung im Rahmen der Gesprächssituation für berechtigt. (Die vertikalen Linien zeigen Überlappungen.)
West und Zimmerman betrachten das als Unterbrechung, weil der zweite Sprecher zu reden anfängt, während der erste mitten in einem Wort ist (tauschen) . Aber in Anbetracht des Gesprächsinhalts ist die Sprecherin vielleicht gar nicht in ihren Rechten verletzt worden. Obwohl es andere Aspekte gibt, die diesen Mann wie einen Gesprächsrowdy wirken lassen, wird die Frau durch die Unterbrechung an sich – die Aufforderung, nicht weiter im Notizblock zu blättern – nicht in ihren Kommunikationsrechten eingeschränkt. Viele Leute, die jemanden mit ihrem Eigentum auf eine Weise umgehen sähen, die ihre ganze sorgfältige Organisation zunichte macht, würden sich im Recht fühlen, wenn sie diese Person aufforderten, sofort damit aufzuhören, ohne erst auf den geeigneten syntaktischen oder rhetorischen Zeitpunkt für eine
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