„Du kommst hier nicht rein!“: Der Mann an der härtesten Tür Deutschlands packt aus (German Edition)
meinen Kopf so gut es ging durch das Guckloch, versuchte ihn in Richtung Ledermantel und dann nach oben zu drehen, um zu sehen, wer da drinsteckte, und das war’s dann auch vorerst. Begleitet wurde meine letzte Halsbewegung von einem trockenen Knack-Geräusch. Verdammt: »Gefrierbrand!« Ich befand mich nun in einer Situation, die in Medizinhandbüchern als »Verschiebung zweier gelenkbildender Knochenenden aus ihrer funktionsgerechten Stellung« beschrieben wird. Meine Lage war prekär, meine Körperstellung abnorm, hinzu kam so etwas wie eine eingebildete Luxationslähmung und mein Gemütszustand war verzweifelt: Draußen standen meine Idole Mick Fleetwood und Stevie Nicks und ich hing im Türguckloch fest. Scheißpeinlich!
Selbst meine Hand zur Klinke zu führen, um die Tür zu öffnen, wurde zu einem schier aussichtslosen Unterfangen. In Superzeitlupe versuchte ich, mit den Fingerspitzen meiner rechten Hand die massive bronzefarbene Klinke der P-1-Eingangstür zu erreichen. Den Kopf konnte ich unmöglich bewegen, zumal er auch im Rahmen des Gucklochs feststeckte wie die Füße eines Mafiaopfers im Betonsockel. Mithilfe meines dicken Arbeiterhandschuhs schaffte ich es letztendlich doch, die Klinke zu drücken und die Tür für die beiden zu öffnen, die sich mittlerweile nicht recht entscheiden konnten, ob sie sich entweder totlachen oder mir Erste Hilfe leisten sollten. Der an diesem Abend engagierte DJ Dr. H., der tagsüber Orthopäde im Krankenhaus ist, war mittlerweile herbeigeeilt und versuchte, mich vorsichtig aus dem Eisenrahmen des Türfensters zu ziehen, indem er mit beiden Händen meinen Kiefer umfasste und mich mit kleinen Rüttelbewegungen und dann mit einem festen Ruck aus meiner Gefangenschaft befreite, um mich dann mit einem gekonnten Handgriff zwischen die Schulterpartien wieder in die Freiheit der Bewegungsfreude zurückzuführen. Oh je, Mick und Stevie hatte ich in diesem ganzen Tohuwabohu ganz aus den Augen verloren; aber sie waren schon nach drinnen verschwunden.
Nun musste man sich das mal vorstellen: Auf der Tanzfläche Goldie Hawn und Kurt Russell und soeben Mick Fleetwood und Stevie Nicks an der Tür, ohne dass die voneinander irgendwas wussten oder sich im P1 verabredet hätten. Hollywoodstars und Götter des Rock! Und das an einem feuchtkalten Mittwochabend im fiesen Februar. Mehr geht nicht. Doch dann wurde ich eines Besseren belehrt und das war so gegen 1.15 Uhr in derselben Nacht. Ich postierte mich also wieder an meiner Tür und versuchte, mich unter dem klapprigen Heizlüfter etwas aufzuwärmen, denn die Außentemperatur betrug mindestens zwei oder drei Grad unter Null, und das war an der Tür auch zu spüren. Der Heizlüfter hing über dem Türsturz und blies mir somit die heiße Luft schnurstracks in die Augen; deshalb trugen wir nachts oft Sonnenbrillen, und nein, das war kein Modegag, das war eine klare Abwehrstrategie gegen rote, entzündete Augen.
Draußen standen etwa zehn in der Kälte bibbernde Leute, die auf mein »Go!« warteten. Die ersten beiden waren zwei süße Mädchen vom Land, ich schätzte, um die zwanzig, aber schon frech wie Nachbars Lumpi. Die eine hatte einen Hammerbody, lange Beine und einen schwarzen Kurzhaarschnitt, so wie Demi Moore. Ich ließ die Mädels rein und auf einmal stand Paul David Hewson vor mir. Ja, Bono, der Sänger von U 2. Damals stiegen sie gerade von der irischen Indiekapelle zur größten Rockband der Welt auf. Ihr inzwischen legendäres Album The Joshua Tree avancierte innerhalb von ein paar Monaten zum Meilenstein der Rockmusik und alle weinten und kreischten und sangen mit bei »With or without you«. Ich war bis dahin schon einmal auf einem Konzert von U 2 und fand es obergeil, wie sich Bono flink wie ein Wiesel über die bombastische Bühne bewegte. Jetzt aber stand er vor mir, knapp fünfzig Zentimeter von mir entfernt. Und das war eine dieser Situationen, in denen man außerstande ist, irgendetwas zu sagen, nicht einmal ein »Hallo« bringt man heraus, selbst wenn es das einzige Wort im Sprachschatz eines Türstehers sein sollte. Ich aber: »Hey, Bono, how are you? Do you remember me?« Ich dachte mir, die beste Strategie sei es, einen auf besten Freund zu machen. Er konnte sich bestimmt nicht an irgendwelche Gesichter aus dem Nachtleben einer Konzertstadt wie München erinnern, doch immerhin wusste ich, dass er früher schon mal im P1 gewesen war. Und er: »Oh, I’m so happy to see you again! It’s my pleasure to be here.«
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