Du kuesst so teuflisch gut
vorsichtig den Deckel ab. Obendrauf lag ein altes Polaroidfoto von Hunter, der höchstens fünfzehn war und vor einer Kirche stand. Wahrscheinlich war das Bild irgendwo in Europa aufgenommen worden. Er hatte den Arm um seine kleine Schwester gelegt und lächelte in die Kamera.
„Oh, er fehlt mir so“, stieß Meri unter Tränen hervor.
Betina kam in die Küche. „Wo bleiben denn die Bleistifte? Kannst du die Schachtel nicht …“ Sie stockte und sah die Freundin an. „Was ist los?“ Wütend wandte sie sich an Jack. „Was haben Sie mit ihr gemacht?“
„Nichts“, sagte Meri schnell und wischte sich über die Wangen. „Das hat nichts mit Jack zu tun. Sieh mal.“
Betina nahm das Foto, das Meri ihr hinhielt. „Das bist du. Und ist das Hunter?“
„Ja. Ich glaube, es wurde in Frankreich aufgenommen.“ Meri hob einen ganzen Packen Fotos aus der Schachtel. „Das ist ja nicht zu fassen. Sieh doch nur, wie dick ich damals war. Warum hat mir eigentlich nie jemand gesagt, dass ich weniger essen sollte?“
„Mit Essen kann man sich nun mal gut von vielen Dingen, die nicht perfekt laufen, ablenken“, meinte Betina und breitete die Bilder vor sich aus. „Du siehst süß aus, und Hunter erst. Was für ein gut aussehender Junge.“
Allmählich versammelten sich nun alle Mitglieder von Meris Team in der Küche. Sie alle betrachteten die Fotos, und bald sprachen sie über Hunter, als hätten sie ihn persönlich gekannt.
Jack blieb im Hintergrund. Auch er wollte sich die Bilder seines alten Freundes gern ansehen, aber er hatte Sorge, dass die Erinnerungen zu schmerzhaft sein würden. Kurz dachte er daran, Meri zu trösten. Doch dann sah er, dass sie von ihren Freunden umringt war. Sie brauchte ihn wirklich nicht. Und das war sicher gut so. Denn es war ungefährlicher für ihn, sich gar nicht erst zu sehr auf Meri einzulassen.
Meri gab dem Boten, der das Essen angeliefert hatte, ein Trinkgeld, dann trug sie die Tüte mit den Pappbehältern ins Haus. „Essen!“, schrie sie auf gut Glück in Richtung Treppe. Sie wusste nicht, ob Jack herunterkommen würde. Aber wenige Minuten später trat er in die Küche.
„Warum bist du nicht mit deinen Intelligenzbestien zusammen?“, fragte er.
Sie nahm ein paar Teller aus dem Geschirrschrank. „Intelligenzbestien?“ Sie lachte. „Das hören sie alle sicher gern. Ach, ich hatte heute keine Lust. Sie wollten in irgendeinen Klub in Tahoe. Außerdem wusste ich, dass du allein bist, und wollte dich in deiner Einsamkeit trösten.“
„Ich bin nicht einsam“, sagte er schnell und beinahe etwas wütend.
Meri musste lächeln. Er war so einfach aus der Fassung zu bringen. Wenn er nur nicht immer die Kontrolle behalten müsste, könnte er ein vollkommen normaler Mann sein. Andererseits hatte dieses Machogetue ja auch etwas Anziehendes …
Meri stellte Teller, Gläser, Besteck und zwei Flaschen Bier auf den Tisch.
Sie setzten sich, und während Meri die Schachteln öffnete, fragte sie: „Stören wir dich sehr?“
„Würde dir das etwas ausmachen?“
Sie überlegte. „Nein“, sagte sie dann ehrlich. „Aber aus Höflichkeit wollte ich wenigstens fragen.“
„Das ist nett. Ich komme mit meiner Arbeit ganz gut voran.“
„Deine Firma arbeitet für Unternehmen, die in Krisengebieten arbeiten, oder?“
Er nickte.
„Das hört sich spannend an. Bestimmt haben all deine Mitarbeiter eine Spezialausbildung.“
Wieder nickte er nur.
Sie reichte ihm die Schachtel mit der Ente süßsauer. „Hast du die Sprache verloren?“
„Nein.“ Er räusperte sich. „Ja, du hast recht, wir arbeiten in Krisengebieten. Nach der Army wollte ich mein eigenes Unternehmen haben. Nur als Berater zu arbeiten, befriedigte mich nicht. Außerdem hatte ich zu wenig Einfluss. Irgendjemand muss ja die Straßen in Gegenden wie dem Irak wieder aufbauen, und unser Job ist es, für die Sicherheit dieser Leute zu sorgen.“
„Das hört sich gefährlich an.“
„Wir wissen, was wir tun, und können die Gefahr einschätzen.“
„Wolltest du nicht mal Rechtsanwalt werden?“
„Nach Hunters Tod bin ich gleich zum Militär gegangen.“
Eine seltsame Methode, mit Kummer fertig zu werden, dachte Meri. Aber wahrscheinlich wollte er einfach so viel zu tun haben, dass er nicht zum Nachdenken kam. „Was haben denn deine Eltern dazu gesagt?“
„Sie hoffen immer noch, dass ich irgendwann mal die Howington-Stiftung übernehme.“
„Und? Wirst du das tun?“
„Höchstwahrscheinlich nicht. Ich
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