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Du lebst, solange ich es will

Du lebst, solange ich es will

Titel: Du lebst, solange ich es will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: April Henry
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meine Mutter versucht. Sie gehört zu den Leuten, die sich am Armaturenbrett festkrallen, schreien, beten und wie verrückt auf unsichtbare Bremsen treten.« Er sieht kurz zu mir. »Kannst dir ja vorstellen, wie gut das funktioniert hat. Dann hat sie einen ihrer Freunde gebeten, es mir beizubringen. Er hat mich gleich auf die Autobahn geschickt. Davor hatte ich gerade mal zehn Minuten hinter einem Steuer gesessen, und auf einmal fuhren alle um mich herum über 100 km/h. Ich glaube, bis dahin war ich höchstens 60 gefahren. Ich habe dermaßen geschwitzt, dass das Lenkrad ganz nass war.« Er lächelt auf diese süße, schiefe Art.
    »Das ist, als wenn man jemandem das Schwimmen beibringen will und ihn einfach ins tiefe Wasser wirft.«
    »So ungefähr, ja.« Seine silbernen Augen streifen mich. »Auf die Art handhabt meine Mutter fast alles in Sachen Erziehung.«
    »Und dein Dad? Wo ist der?«
    Er zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung. Hab ihn nie kennengelernt.«
    Ich versuche mir das vorzustellen. »Weißt du, ob er noch am Leben ist?«
    »Meine Mutter hat mir nie seinen Namen verraten.« Drew spricht leiser, als würde er mit sich selbst reden. »Manchmal frage ich mich, ob sie ihn selbst überhaupt kennt.«
    Als wir bei mir ankommen, stehen die Garagentüren auf und geben den Blick auf die beiden blauen BMWs meiner Eltern frei. Meine Mom ist am Hauseingang und holt die Post aus dem Briefkasten. Sie sieht zweimal hin, als sie entdeckt, wer hinter dem Steuer sitzt.
    »Halt einfach auf der Straße«, sage ich zu Drew.
    Er beißt sich auf die Lippe und hält neben dem Bordstein an. »Bekommst du jetzt Ärger, weil ich dein Auto fahre?«
    »Nein«, sage ich, obwohl ich mir da nicht so sicher bin. Sie haben Drew noch nie zuvor gesehen. Keinen meiner Freunde haben sie jemals zuvor so richtig gesehen. So viele habe ich ja nun auch wieder nicht.
    »Vielleicht sollte ich jetzt besser gehen.« Er blickt auf die Straße.
    »Nein. Komm mit rein. Ich muss mit dir reden.«
    Er drückt mir den Schlüssel in die Hand. Wir steigen aus, holen unsere Sachen aus dem Auto und gehen den Plattenweg entlang aufs Haus zu. Drew bleibt einen halben Schritt hinter mir.
    Meine Mom sieht uns lächelnd an. »Hallo, Gaby - wer ist denn dein Freund?«

 
Der sechste Tag
DREW
    Ich weiß, was Mrs Klug sieht, wenn sie mich anschaut. Einen Verlierer. Einen schlaksigen Jungen in abgetragenen Jeans, die Haare zu lang und Stoffturnschuhe, die einmal schwarz-weiß kariert waren, bevor sie etliche hundert Mal getragen wurden. Wahrscheinlich geht sie davon aus, dass in meinem Rucksack eine Packung Zigaretten steckt. Was stimmt. Aber sie gehört nicht mir. Ich habe sie meiner Mutter weggenommen, als wir uns darüber gestritten haben, dass sie zu viel raucht. Und da wäre dann noch das Longboard unter meinem Arm.
    Weil Gabys Mom eine Chirurgin ist, sieht sie aber vielleicht auch das Longboard und dass ich keinen Helm trage und denkt: »potenzieller Spender«.
    Sie hat einen grünen OP-Kittel an, ist schlank und sieht wirklich gut aus für eine Mutter. Ihre Haare sind blond, aber etwas heller als die von Gaby, vielleicht färbt sie sie. Gabys Mutter wirkt irgendwie wichtig, als hätte sie vor fünf Minuten noch eine Entscheidung über Leben und Tod getroffen, »Skalpell, sofort!« gerufen und über Oberschenkeladern und solche Sachen gesprochen.
    »Hallo, Mom. Das ist Drew. Wir arbeiten zusammen bei Pete.« Ich warte darauf, dass sie fragt, warum ich den Mini gefahren habe, aber sie tut es nicht. Wissen Gabys Eltern überhaupt von Gabys Idee? »Drew, das ist meine Mutter.«
    Ich klemme das Longboard unter den anderen Arm und strecke ihr die Hand entgegen. »Freut mich, Sie kennenzulernen - ähm - soll ich Mrs Klug sagen oder Dr. Klug?«
    Obwohl ihre Haut weich ist, hat sie einen festen Handschlag. »Sag Gail zu mir. Dr. Klug heiße ich im Krankenhaus und Mrs Klug ist Steves Mutter.« Ich nehme an, Steve ist der andere Dr. Klug.
    »Okay, Gail.« Ich nicke.
    »Wir gehen in mein Zimmer und machen was für die Schule«, sagt Gaby und hält den Rucksack wie ein Requisit in die Höhe. Wir haben nicht eine Stunde Unterricht zusammen.
    Ihre Mutter sagt nichts und lächelt nur abermals. Ich folge Gaby ins Haus.
    Als wären die beiden BMWs nicht schon eindeutig genug, überzeugt mich der erste Blick ins Haus, dass ich Gaby niemals im Leben in unsere Wohnung hereinlassen werde. Das Haus ist groß und perfekt. Es sieht nicht aus, als würde hier wirklich jemand wohnen.

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