Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Du lebst, solange ich es will

Du lebst, solange ich es will

Titel: Du lebst, solange ich es will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: April Henry
Vom Netzwerk:
aus, als würde sie von einer Sprayflasche stammen. »Ja, aber der Lack sah seltsam aus, wie selbst gesprüht.«
    »Du meinst, er hat versucht, die Farbe zu ändern?« Sie hält sich die Hand vor den Mund. »Meinst du, er war mal weiß?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht.« Ich überlege, welchen Unterschied das macht.
    »Er hatte Angst«, sagt Gaby leise.
    Ich sollte das Auto auf den Angestelltenparkplatz umparken und zur Hintertür hereinkommen. Aber ich will Gaby nicht allein lassen, noch nicht einmal eine Minute lang. Ich hüpfe auf den Tresen und springe auf der anderen Seite wieder runter.
    Jetzt, wo ich Gaby näher bin, sehe ich, dass sie zittert. Leichtes Schaudern überkommt sie in Wellen. Jedes Mal ziehen sich ihre Schultern zusammen.
    »Du hattest sicher auch Angst«, sage ich.
    Am liebsten würde ich sie umarmen, ihr über den Hinterkopf und den Rücken streichen, um sie zu beruhigen. Doch ich lege nur eine Hand auf ihre Schulter. Mehr muss ich nicht machen. Im nächsten Moment liegt sie in meinen Armen und redet in meine Halsbeuge. Ihr Gesicht ist warm und weich.
    »Ich habe die ganze Zeit gedacht, er könnte über den Tresen springen, genau wie du eben.«
    Wahrscheinlich klammert sich Gaby nur an mich, weil sie Angst hat. Ich fahre ihr über den Rücken, aber unbeholfen, nicht sanft und beruhigend, wie ich es vorgehabt hatte. »Ich werde Pete sagen, dass wir immer zu dritt sein müssen, bis sie den Täter gefunden haben. Oder dass wir keine Pizza mehr ausliefern können, wenn wir nur zu zweit sind. Ich werde dich auf keinen Fall mehr hier allein lassen.« Die Wanduhr zeigt auf kurz vor halb zehn. Ich treffe eine Entscheidung. »Komm, wir räumen alles weg und gehen. Auch wenn es noch nicht ganz zehn ist.«
    Gaby atmet tief und zitternd ein. Ich versuche zu ignorieren, wie ihre Brüste sich gegen meinen Brustkorb heben. Dann lässt sie mich los und tritt einen Schritt zurück. Sie wischt sich mit der Schürze über die Augen. »Hört sich gut an.«
    Wir stellen die Behälter weg. Gaby kehrt den Fußboden, während ich die Teigreste zusammenrolle und in den Kühlraum lege. Wenn Sunny morgen aufmacht, wird sie zuerst frischen Teig machen und danach den alten Teig daruntermischen. Dann schickt sie das Ganze durch die Ausrollmaschine und man kann alt von frisch nicht mehr unterscheiden.
    Wenn es doch nur immer im Leben so einfach wäre, aus alt neu zu machen.
    Wir schließen die Hintertür zu und gehen vorne raus, was sich seltsam anfühlt.
    »Ich find’ dein Skateboard cool«, sagt sie, als ich es auf den Gehweg fallen lasse.
    »Ist kein Skateboard, sondern ein Longboard.« Ich stelle einen Fuß darauf. »Mit Skateboards macht man Tricks. Mit Longboards kommt man rum.«
    »Soll ich dich nach Hause fahren?«
    »Musst du nicht, danke.« Gaby hat mir in letzter Zeit zu viel gegeben.
    Sie zögert, dann sagt sie schnell: »Ehrlich gesagt, würde es dir etwas ausmachen, mit zu mir zu kommen und nachzusehen, ob im Haus alles okay ist?« Sie blickt zu Boden. »Meine Mom hat eine SMS geschickt, dass es einen Notfall gegeben hat und sie ins Krankenhaus mussten. Wenn du nachsehen könntest, ob sich kein Bösewicht irgendwo in den Ecken versteckt, kann ich vielleicht einschlafen.«
    Bei mir ist wahrscheinlich auch niemand zu Hause.
    Deswegen sage ich Ja.

Der siebte Tag
GABY
    Als wir gehen, sind es noch fünfzehn Minuten bis Ladenschluss. Drew legt sein Longboard auf die Rückbank und wir fahren los, reden nicht, während Flea Market Parade über schlechte Träume singt. Ich zittere immer noch, aber nicht mehr so schlimm, wie ich es tun würde, wenn ich allein wäre. Allein sein wäre jetzt schrecklich. Allein mit meinen Gedanken.
    »Irgendeinen Grund wird die Polizei aber schon gehabt haben, dass sie mit diesem Typen gesprochen hat«, sage ich schließlich. »Vorausgesetzt, er hat sich nicht nur eingebildet, dass sie mit ihm geredet haben. Du hast gesagt, du hast ihn noch nie zuvor gesehen, aber kam dir seine Stimme bekannt vor?«
    Drew starrt nach draußen in die Dunkelheit. »Er ist nicht derjenige, der angerufen hat, falls du das meinst. Ich kann mich zwar noch immer nicht an die Stimme erinnern, aber der Typ war es nicht.«
    »Woher wusstest du, dass er Meth einnimmt?« Ich frage mich, ob einnehmen das passende Wort ist. Vielleicht muss es drücken oder rauchen oder so was heißen.
    »Wegen seiner Zähne.« Er zögert. »Ein paar, ähm, Freunde von meiner Mutter nehmen das Zeug. Sie sind auch alle total abgemagert.

Weitere Kostenlose Bücher