Du lebst, solange ich es will
Essen den ganzen Tag nur Süßes und putzen sich nie die Zähne. Stehen immer unter Strom. Und reden ohne Unterlass. Nach einer Weile werden sie paranoid. Sie vertrauen niemandem mehr, noch nicht einmal ihren Freunden.«
»Werden sie manchmal gewalttätig?« Ich versuche mir vorzustellen, wie der Typ mit einem Stein auf Kayla losgeht.
»Manchmal. Manchmal sind sie einfach nur verwirrt.« Drew atmet lautstark ein, als wollte er noch mehr sagen, schweigt dann aber eine ganze Weile. Schließlich sagt er schnell: »Willst du die Wahrheit wissen, Gaby?« In seiner Stimme schwingt ein Hauch von Wut mit. »Willst du wirklich die Wahrheit wissen?«
Auf einmal bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich sie wissen möchte. »Sag schon«, erwidere ich.
Aber Drew schweigt, als würde er sich die Sache noch mal anders überlegen. Dann sagt er leise: »Mein Leben ist nicht wie deins, okay?«
Will Drew damit sagen, dass er Meth nimmt? Ich weiß, dass er Gras verkauft, aber bei der Vorstellung, dass das nicht alles ist, wird mir schlecht. Meine Eltern regen sich immer über die Drogensüchtigen im Krankenhaus auf. Sie verursachen schreckliche, dumme Unfälle, durch die andere Menschen an Rollstühle gefesselt werden, während sie einfach davonspazieren. Und sie klauen wie die Raben.
»Was meinst du damit?« Meine Hände klammern sich ans Lenkrad.
»Ich wohne nicht im perfekten Haus, ich habe keine perfek ten Eltern mit perfekt zueinander passenden BMWs. Mein Leben ist komplett anders.«
Ich werde rot. Er macht sich über mich lustig. Dann erst merke ich, dass es Drew nicht um mich geht, sondern um sich.
»Ich weiß, dass mich manche Leute für weißen Abschaum halten«, fährt er fort. »Und weißt du, was? Es stimmt. Meine Klamotten sind alt. Ich lebe in einer heruntergekommenen Wohnung. Ich bin froh, wenn ich in der Schule Dreien bekomme. Ich bin nicht in der Begabtenklasse. Und meine Eltern sind ganz sicher keine Ärzte.« Er reckt das Kinn. »Ich habe dir schon gesagt, dass ich keine Ahnung habe, wer mein Vater ist. Und meine Mutter, na ja, die hat ihre eigenen Probleme. Nicht nur ihre Freunde sind Speed-Junkies.« Er redet so leise, dass ich ihn kaum verstehe. »Bis vor sechs Monaten hat sie noch im Supermarkt gearbeitet. Als Kassiererin. Grüne Schürze, weißes Namensschild, und ihr taten ständig die Füße weh. Es war kein Traumjob, aber sie hat nie einen Abschluss gemacht, also war es okay. Doch dann hat sie diesen Typen kennengelernt, einen Kunden namens Gary. Gary machte es sich zur Angewohnheit, immer an ihre Kasse zu kommen. Und sie war hin und weg von ihm.« Er stößt frustriert Luft aus. »Sie ging also mit ihm aus. Als sie an diesem Abend nach Hause kam, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Sie redete wie aufgezogen. Und war nicht ins Bett zu bekommen.« Er wirft mir einen kurzen Blick zu.
»Es war also Meth?« Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Eltern Drogen nehmen. Ihre Körper sind Tempel. Alles, was in sie hineinkommt, wird gewogen, abgemessen und ist voller Nährstoffe.
»Dann fand ich zusammengerollte Dollarscheine in der Wohnung. Und kleine Spiegel mit Rückständen. Vor ein paar Monaten habe ich in einer Schublade in der Küche ein Tütchen mit Pulver entdeckt.«
»Was hast du gemacht?« Ich parke vor unserem Haus, stelle den Motor aus und sehe Drew an.
»Hab es im Klo runtergespült.« Er beißt sich auf die Lippe.
»Und was ist dann passiert?«
»Sie ist total ausgerastet. Ich habe nicht darüber nachgedacht, woher sie das Geld dafür hat. Aber woher sollte sie es schon haben? Als ihre Kasse das erste Mal nicht gestimmt hat, hat ihr Chef ihr noch geglaubt, dass sie etwas falsch eingegeben hat. Beim zweiten Mal gab er ihr noch Bewährung. Beim dritten Mal feuerte er sie. Meine Mutter war mal schlau, nicht nur Bauernschläue, sondern richtig belesen. Als ich kam, musste sie die Highschool abbrechen, aber sie hat immer noch gerne Kreuzworträtsel und so was gemacht. Sie hat viel gelesen. Aber mittlerweile ergeben die Sachen, die sie sagt und tut, keinen Sinn mehr. Zuerst fand sie es gut, weil sie schlanker wurde. Jetzt ist sie so dürr. Ihre Arme und Beine sind wie Zweige.« Er verfällt in einen Flüsterton. »Ich habe das Gefühl, ich sehe ihr beim Sterben zu.«
»Kannst du ihr nicht irgendwie helfen?«
»Letzte Woche habe ich eine Hotline angerufen. Dort meinte man, ich könnte nicht viel tun, solange sie von sich aus nichts ändern will.« Seine Stimme klingt belegt. »Sie ernährt
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