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Du lebst, solange ich es will

Du lebst, solange ich es will

Titel: Du lebst, solange ich es will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: April Henry
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sich von Bier und diesen süßen Puddingschnecken. Und seit sie im Supermarkt Hausverbot hat, muss ich für sie hingehen und das Zeug kaufen. Dort kennt mich jeder. Ich bin dort praktisch aufgewachsen. Kannst du dir vorstellen, wie beschissen das ist? Entweder raunzen sie mich an oder sie ignorieren mich. Oder beobachten mich. Als wäre ich auch ein Dieb.«
    Wenn seine Mutter nicht arbeitet, wovon leben sie dann? »Deswegen willst du so viele Stunden wie möglich arbeiten?«
    Er erwidert nichts, steigt einfach aus. Wir gehen zusammen zur Haustür.
    Ich schließe auf und die Alarmanlage piept los. Sofort eile ich ins Haus und gebe den Code ein. Als ich mich umdrehe, steht Drew noch immer in der Tür. Das Licht über dem Hauseingang wirft tiefe Schatten auf seine Augen.
    »Kannst du noch bleiben, bis ich nachgesehen habe, dass keiner im Haus ist?«
    Er sagt nichts, macht nur einen Schritt in den Flur und schließt die Tür.
    Nachdem ich meinen Eltern eine SMS geschrieben habe, dass alles okay ist, gehe ich von Zimmer zu Zimmer, gefolgt von Drew. In jedem Raum schalte ich das Licht ein, bis alles hell erleuchtet ist. Bevor ich morgen zur Schule gehe, werde ich das Licht wieder überall ausschalten und meine Eltern werden nie etwas davon mitbekommen.
    »Meine Eltern haben irgendwo eine Flasche Kahlua«, sage ich. »War ein Weihnachtsgeschenk. Aber sie werden sie niemals trinken.« Dieses eine Mal will ich nicht groß darüber nachdenken, was ich sage oder tue.
    Drew nickt, aber ich kann seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. »Kahlua mit Sahne. Hab ich schon mal getrunken. Schmeckt gut. Vor allem, wenn man den Geschmack von Alkohol nicht mag.«
    »Meinst du, wir könnten es auch mit Magermilch mischen? Etwas anderes steht bei uns nämlich nicht im Kühlschrank. Es sei denn, du willst Kahlua mit Hüttenkäse probieren.« Mir ist etwas schwindelig. Vielleicht überschreite ich endlich mal Grenzen.
    »Eigentlich will ich gar keinen, egal womit.«
    Seine Antwort stößt mich vor den Kopf, aber ich versuche es nicht zu zeigen. »Was dagegen, wenn ich mir einen genehmige?«
    Er zuckt mit den Schultern. »Nur zu.«
    Ich entdecke die Flasche im untersten Schrank. Selbst in ihrem Versteck wurde sie staubig. Mit ihren hervorstehenden, runden Rändern am oberen und unteren Flaschenrand fühlt sie sich gut in meinen Händen an. Ich reiße das Siegel auf, gieße etwas Kaffeelikör in ein Glas und fülle es mit Milch auf. Ich koste vorsichtig. Es schmeckt wie Milch mit Kaffee - mit einer gewissen Schwere.
    Ich gehe ins Wohnzimmer und Drew folgt mir. Wir setzen uns aufs Sofa. Zwischen uns ist ein halber Meter Platz. Ich will den Abstand verringern.
    »Ähm, es tut mir leid, dass ich so komisch darauf reagiert habe, als du dieses Wort gesagt hast. Azur.« Ich murmle das Wort fast aus Angst, ihn wieder zu verletzen, wie ich es vor zwei Tagen getan habe. »Ich wusste noch nicht einmal, wie man es genau ausspricht, bevor du es gesagt hast.«
    Drew richtet seine blassen Augen auf mich.
    »Final Fantasy 7.«
    »Was?«
    Er hebt eine Schulter und grinst mich schief an. »Das ist ein Playstation-Spiel. Und eine Figur mit blauen Haaren heißt Azul der Kobaltblaue.«
    »Azul - wie in Azurblau? Also heißt er Blau der Blaue?«
    Er zuckt mit den Schultern. »Ich habe Azur im Internet nachgesehen. Deswegen weiß ich, was es bedeutet. Wusstest du, dass es alle möglichen Blautöne bezeichnen kann - Himmelblau, Dunkelbau, Grünblau? Jeder meint damit eine andere Farbe.«
    »Manchmal scheint überhaupt jeder etwas anderes zu meinen. Zum Beispiel denken ja auch alle anderen, dass Kayla tot ist.« Ich nehme noch einen Schluck.
    Drew beugt sich zu mir. Unsere Gesichter sind nur noch Zentimeter voneinander entfernt. Wir reden leise, obwohl niemand hier ist, der uns hören könnte. »Na schön, du bist diejenige, die sagt, dass Kayla noch am Leben ist. Bist du dir immer noch sicher?«
    Ich schließe die Augen und denke an sie. Dieser leichte Puls ist immer noch da, den ich spüre, seit sie verschwunden ist. Derselbe Puls, der aufflackert, wenn ich mir einzureden versuche, dass sie tot ist. Aber etwas ist anders.
    »Ja.« Ich öffne die Augen. »Aber das Gefühl ist nicht mehr so stark wie vorher. Irgendwie ... gedämpft. Vielleicht kann ich mir sie einfach nicht tot vorstellen. Ich meine, Kayla strotzt immer nur so vor Leben. Im Vergleich zu ihr bin ich ein Geist. Jeder kennt sie, jeder mag sie - die Lehrer, die Schüler, die Kunden. Hätte dieser Typ mich

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