Du Mich Auch
Viertel nach neun, als Dr. Mergenthaler mit gehetztem Gesichtsausdruck das Lokal betrat. Seine Krawatte hing ein wenig schief, seine Bewegungen wirkten seltsam unkoordiniert.
Evi sprang auf. »Doktor …, ich meine – Hubert! Was ist passiert?«
Dr. Mergenthaler sank auf einen Stuhl und strich sich über die Stirn. »Ich kann nichts mehr für Sie tun. Ihr Mann hat Sie soeben enterbt.«
Kapitel 9
Evi konnte nicht mehr denken. Sie überfuhr zwei rote Ampeln, nahm einem Lastwagen die Vorfahrt und schrammte das Eingangstor zur Garage, als sie endlich zu Hause anlangte. Vergeblich versuchte sie sich zu sammeln. Ihr Hirn – beziehungsweise das, was davon übrig war – bestand nur noch aus einem winzigen angstgeschüttelten Glibberklumpen.
Die Hiobsbotschaften von Dr. Mergenthaler waren aber auch zu niederschmetternd gewesen. Werner hatte ihn abends um acht zu sich gerufen, mit dem Vorsatz, Evi für immer zu ruinieren. Er hatte dem Finanzmann ein Dokument überreicht. Darauf stand schwarz auf weiß sein letzter Wille: Die Jungen sollten alles erben, Evi würde leer ausgehen. Und bei der Gelegenheit hatte er auch gleich mitgeteilt, dass er mit seinem Anwalt die Scheidungsformalitäten besprechen würde. Sein gesamtes Vermögen wolle er in die Schweiz transferieren, unerreichbar für Evi.
Was habe ich nur falsch gemacht?, fragte sie sich verzweifelt. Heute Morgen war doch noch alles in Ordnung. Was weiß Werner wirklich? Zitternd ging sie die Stufen zur Villa hoch.
»Eviii?«
Werner erwartete sie in seinem Arbeitszimmer. Mit gesenktem Blick saß er am Schreibtisch. Er hob nicht einmal den Kopf, als sie eintrat. Noch immer trug er seinen verwaschenen Bademantel.
Evi nahm all ihren Mut zusammen. »Werner?«
»Schlampe«, sagte er gefährlich leise.
»Wie bitte?«
»Heute Nachmittag hat Frau Kellermann angerufen. Falls du dich noch daran erinnerst, wer das ist.«
Evi brach der Schweiß aus. Alexandra Kellermann. Die klatschsüchtige Bridgeschwester. Die Katastrophe in Menschengestalt.
Werner richtete sich mit wutverzerrtem Gesicht auf. »Der Fall ist klar«, stieß er hervor. »Du warst nicht beim Bridge. Du hast im teuersten Fress-Schuppen der Stadt mit einem Kerl rumgemacht. Wer auch immer dein mieser Stecher ist, den mach ich auch noch fertig.«
»Nein, es ist alles …«, versuchte Evi zu protestieren.
»Im Gästezimmer habe ich Tüten mit puffiger Wäsche gefunden«, fiel Werner ihr ins Wort. »Und den Tresor hast du auch ausgeräumt. Am besten ziehst du sofort aus. Die Kinder siehst du nie wieder. Jetzt verschwinde, bevor ich dich mit einem Fußtritt rausbefördere.«
»Es ist nicht, wie du denkst«, murmelte Evi schwach. Alles drehte sich um sie. Der Boden unter ihren Füßen verwandelte sich in einen brodelnden Strudel.
»Ach ja?« Hasserfüllt sah Werner sie an.
Ich habe den Bogen überspannt, dachte Evi in größter Panik. Ich habe zu hoch gepokert. Sie betete, dass er nichts von ihren speziellen Nahrungsergänzungsmitteln gemerkt hatte. Aber offenbar war ihm zumindest das nicht aufgefallen.
Krachend ließ Werner seine Faust auf den Schreibtisch niedersausen. »Mach’s kurz. Sonst schlage ich zu, Miststück.«
Das genügte. Evi brach in Tränen aus. Sie warf sich in einen Sessel und weinte bitterlich. Sollte sie ihm alles gestehen? Die alte Evi hätte das getan. Wäre auf dem Bodenherumgekrochen, hätte ihre Sünden bekannt und dann den steinigen Weg ins immerwährende Elend angetreten.
Aber sie war nicht mehr die alte Evi. Sie war nicht mehr das Opfer, das sich freiwillig auf die Schlachtbank legte. Und auch wenn sie bisher zu dämlich für gute Ausreden gewesen war, genau heute würde sich das gründlich ändern.
Um Zeit zu gewinnen, kramte sie ein Taschentuch hervor und schnäuzte sich ausgiebig. »Ich habe es aus Liebe getan«, schluchzte sie.
Drohend stand Werner auf. »Sehr witzig!«, brüllte er. »Noch so eine dumme Lüge, und ich mache Kleinholz aus dir!«
In Evis Kopf gewann ein rettender Gedanke Gestalt. »Ich kann alles erklären. Hör mir bitte zu.«
Werner setzte sich widerwillig.
»Ich habe mich mit einem Arzt getroffen«, schluchzte Evi. »Er ist der beste seines Fachs. Ein absoluter Spezialist. Was weißt denn du, wie schreckliche Sorgen ich mir um dich mache? Du bist doch nur noch ein Schatten deiner selbst! Seit Tagen habe ich nicht mehr geschlafen vor lauter Kummer.«
Sie machte eine Pause und rieb sich die verweinten Augen. »Dann hörte ich von diesem Arzt. Er
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