Du Mich Auch
Haupteingang der Charité. Evi musste Werner stützen, der noch immer unter dem Einfluss des Schlafmittels stand. Schwer hing er an ihrem Arm, während Evi sich an einem Übersichtsplan des Krankenhauses orientierte.
»Und? Wo ist jetzt dein Wunderdoktor?«, grantelte er.
»Hab’s gleich«, murmelte Evi.
Die Charité war riesig, die größte Klinik der Stadt. Eine Ansammlung brutal hässlicher Gebäude, die von umherschlurfenden Patienten und missmutigen Besuchern bevölkert waren. Haupthaus, dritter Stock, memorierte sie innerlich, Zimmer 345a. Ihr schwanden die Sinne bei dem Gedanken, was sie dort wohl erwarten würde. Evi hatte bereits eine telefonische Krisenkonferenz hinter sich und Angst für drei.
Im Lift musterte sie die bleichen Gestalten in Schlafanzügen und die gebräunten in weißen Kitteln. In welchen Alptraum war sie bloß geraten? Schon öffnete sich die Aufzugtür,und sie traten auf einen ockerfarbenen, endlos langen Flur. Das konnte nicht gutgehen. Doch es musste gutgehen. Eine Alternative gab es nicht.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte eine Krankenschwester in einer adretten hellblauen Uniform.
»Sehr gern. Ich suche Zimmer Nummer dreihundert…«
Evi hätte Werner fast fallenlassen, so heftig fuhr ihr der Schreck in die Glieder. Sie kannte diese Krankenschwester.
»Zu Professor Doktor Reinhard Hell vielleicht?«, fragte die Schwester. Ihr fast ungeschminktes Gesicht zeigte ein undurchdringliches Lächeln. Das konnte doch nicht wahr sein! Evi nickte entgeistert.
»Hier entlang, bitte.«
Die Krankenschwester ging voraus. Einzig ihre klappernden Highheels verrieten, dass es sich nicht um eine normale Angehörige des Pflegepersonals handelte. Aber das fiel hoffentlich nur Evi auf. So eine Freundin gab es nicht noch einmal auf der Welt. Bestimmt verpasste Beatrice soeben jede Menge wichtige Meetings.
»Bitte sehr, Herr Professor Hell erwartet Sie bereits«, sagte Beatrice und öffnete eine Tür.
Evi sah erst einmal nur Sternchen. Dann erkannte sie wie durch einen Nebel einen weißgestrichenen Raum. Die hohen Fenster waren staubig, es roch scharf nach Desinfektionsmitteln. An einem Tisch voller Aktenstöße saß Robert und sortierte Karteikarten. Der weiße Kittel stand ihm ausgezeichnet. Evi hätte sich am liebsten in seine Arme geworfen und ihn nie wieder losgelassen. Stattdessen zerrte sie Werner ins Zimmer und lud ihn auf einem Stuhl ab.
»Ah, Frau Wuttke«, sagte Robert geschäftig und sah auf. »Und das ist der Patient, nehme ich an?«
»Ich bin Werner Wuttke!«, brüllte Werner. »Ha, Sie sind der gefeierte Quacksalber, was? Aber damit das gleich mal klar ist: Mich beeindrucken Sie überhaupt nicht mit Ihrem dämlichen ›Professor Doktor‹.«
Robert tauschte kurze Blicke mit Evi und Beatrice. »Schwester Uschi, würden Sie bitte draußen warten? Und sorgen Sie dafür, dass wir … ungestört sind.«
»Sehr wohl«, erwiderte Beatrice. Sie zwinkerte Evi zu und verließ mit schwingenden Hüften den Raum.
Genial, dachte Evi. Bella Beatrice steht Schmiere. Nicht auszudenken, wenn der echte Professor jetzt hereinkäme.
Robert erhob sich langsam. Ein Stethoskop baumelte auf seinem weißgestärkten Kittel. Das Haar hatte er zu einem Pferdeschwanz gebunden. Fasziniert betrachtete Evi seine schmalen Hände.
»Ihre Frau Gemahlin hat mich freundlicherweise über einige Ihrer Symptome informiert.« Robert räusperte sich. »Wenn Sie dann bitte ablegen würden.«
»Mir fehlt nichts. Bin nur ein bisschen überarbeitet«, grummelte Werner. Doch er begann brav, sein Hemd aufzuknöpfen.
»Diarrhö, Kopfschmerzattacken, Schwindelanfälle«, zählte Robert auf. »Das klingt leider gar nicht gut. Die Unterhose können Sie übrigens anbehalten. Dann legen Sie sich bitte hin.«
Er zeigte auf eine schmale Liege, über die ein Streifen Krepppapier gespannt war. Evi war ihm unendlich dankbar dafür, dass Werner nicht auch noch sein trostloses Gemächt präsentieren musste. Sein Anblick war auch so schon eine Zumutung. Der aufgedunsene Körper, der schweißnasse Pelz auf der Brust und die schartigen Zehennägel waren alles andere als erfreulich.
Nachdem sich Werner stöhnend auf der Liege niedergelassen hatte, zog Robert gelbliche Latexhandschuhe an und setzte ihm das Stethoskop auf die Brust.
»Und?«, knurrte Werner.
Robert horchte konzentriert. Er zog ein Diktiergerät aus seiner Kitteltasche. »Massive Herzrhythmusstörung.«
Werner wurde blass.
Nun begann Robert, den unförmigen Bauch
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