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Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mats Wahl
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zeigen?«
    Ich war so damit beschäftigt zu verstehen, was er über Mama gesagt hatte, dass ich es kaum hörte. Was er gesagt hatte, hätte genauso gut in einem anderen Zimmer geflüstert worden sein können, die Bedeutung war völlig unbegreiflich.
    »Machst du das?«, fragte der Alte. »Hier draußen schwimmen?«
    »Wie können Sie mein Großvater sein? Ich meine, wie können Sie Mamas Vater sein? Das verstehe ich nicht.«
    Er atmete noch schwerer.
    »Ich war nicht mehr jung und hätte es besser wissen müssen. Aber ich war verliebt in Ellen, sehr verliebt, viele Jahre. Ellen war entschieden jünger als ich. Harry stand dazwischen. Dannwurde Harry krank, er war häufig im Krankenhaus, und Ellen war allein. Ich besuchte sie abends, um ihr Gesellschaft zu leisten, und da ist es passiert.«
    Er schwieg eine Weile, als wäre er in den Keller gegangen, um aus einem dunklen Winkel verschollene Erinnerungen heraufzuholen.
    Nach einer Weile sprach er weiter.
    »Harry wurde gesund und kam wieder nach Hause. Ellen hat ihm alles gebeichtet. Bald darauf starb er, und Ellen glaubte, ihre Untreue habe ihn ins Grab getrieben. Und ich dachte, es war mein Verrat. Er war mein einziger Freund.«
    Berger holte Luft.
    »Sie wollte mich nie mehr sehen und bat mich, von hier wegzuziehen. Ich weigerte mich. Nach Harrys Tod hat sie die Ligusterhecke gepflanzt.«
    Er strich sich über die Stirn, nahm die Brille ab und legte sie auf den Tisch.
    »Ich habe deine Mutter als Kind nie im Arm gehalten, nur einmal war ich kurz davor. Ich habe mich auf euer Grundstück geschlichen und in den Kinderwagen geschaut, der unter der Eiche stand. Zu der Zeit habe ich viel fotografiert. Es wurden vierundzwanzig Bilder, die ich selbst entwickelt habe. Ich habe ein Album gekauft und sie eingeklebt und dann an Ellens Tür geklingelt. Ich habe unsere Tochter fotografiert, sagte ich und reichte ihr das Album. Sie hat es mir entgegengeschleudert und die Tür zugeknallt. Das war im Frühling. Die Amsel saß schon auf meinem Schornstein. Das Album ist in den Schnee gefallen. Später muss deine Großmutter irgendwas zu Anna gesagt haben. Sie hat mich nie gegrüßt, wenn wir uns begegneten. Wenn ich sie beim Einkaufen traf, schaute sie weg.«
    Er hielt einen Augenblick inne in seiner Erzählung.
    »Ihr seid meine einzigen Verwandten. Dieses Haus ist meinEigentum, es ist nicht beliehen, und ich besitze Geld. Anna wird alles erben. Mein Testament liegt bei einem Notar. Sag ihr bitte, dass ich sie treffen will. Tust du das?«
    Was sollte ich antworten?
    »In Ordnung«, antwortete ich. »Ich werde es ihr sagen, aber nicht heute Abend.«
    Der Alte nickte.
    »Es genügt, wenn du es ihr morgen erzählst. Aber warte nicht zu lange. Ich habe nicht mehr viel Zeit.«
    »Ich muss jetzt nach Hause«, sagte ich. »Wir feiern ein Krebsfest.«

    13

    Als ich Bergers Haus verließ, drückte ich den Laptop gegen die Brust. Draußen war es so finster, dass man die Dunkelheit förmlich roch, und kühler war es auch geworden.
    Im Dunkeln hörte ich Annie und noch eine Mädchenstimme, und dann sah ich die beiden durch unsere Pforte kommen. Sie schoben beleuchtete Fahrräder und lachten, dass ihnen fast die Luft wegblieb. Sie redeten über jemanden, der Henke hieß.
    Ich presste mich in Bergers Hecke, damit sie mich nicht sahen, und als meine Halbschwester zusammen mit ihrer Freundin auf dem Weg verschwand, dachte ich, da verschwindet Karl Bergers Enkelin in der Dunkelheit.
    Dann betrat ich unser Grundstück.
    Mama hatte zwei Kerzen auf dem Tisch unter der Eiche angezündet, und ich versuchte, nicht auf Schotter zu treten, um das Knirschen zu vermeiden. Ich ging über den Rasen zu der Eiche, die ihre mächtige Krone über Mama und Dick wölbte.Ihre Gesichter wurden von unten beleuchtet. Dick hatte den Pullover angezogen, und Mama hatte sich eine Decke um die Schultern gelegt.
    »Morgan«, sagte Mama gerade, »trifft seinen Vater immer zu Weihnachten. In den vergangenen Jahren sind sie nach Thailand gefahren. Und jeden Sommer angeln sie Hechte auf Åland. Annie hat nicht so viel Kontakt zu ihrem Vater. Aber er schickt wenigstens ein Geschenk zu ihrem Geburtstag. Toms Vater meldet sich nie. Wie ist es mit deinen Kindern?«
    Dick zögerte.
    »Wir haben nicht gerade den besten Kontakt. Sara treffe ich selten, und jetzt nach der Scheidung treffe ich auch Lotta nicht mehr so oft. Vielleicht ist das anders mit Söhnen? Die Mädchen brauchen hin und wieder meinen Fahrdienst, mehr wollen sie nicht

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