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Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mats Wahl
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werden. Er will eine Lederweste mit einem Abzeichen auf dem Rücken, Tätowierungen am Hals, Fahrtenmesser in der Gesäßtasche und einen Revolver in einem Schuhkarton im Keller. Auf diese Art Kriminalität sind wir nicht vorbereitet. Wir sind zu naiv in diesem Land.«
    »Wie ich«, sagte Mama. »Lege mein Portemonnaie auf den Tresen, während ich bezahle. Das ist doch bescheuert. Leute, die so alt sind wie ich und nicht mehr richtig mitkommen, sollten gar nicht mehr rausgehen.«
    Und dann mit lauterer Stimme:
    »Schau dir die Flammen an. Ganz still. Es ist total windstill.«
    Dick senkte seine Stimme. Ich konnte ihn kaum noch verstehen.
    »Wer ist das da unten am See?«
    Mama rief:
    »Bist du das, Tom?«
    Ich antwortete nicht sofort, sondern stellte erst den Laptop ab.
    »Bist du das?«, wiederholte Mama.
    Ich ging zu ihnen hinauf, setzte mich auf denselben Platz, auf dem ich beim Essen gesessen hatte, und stellte den Laptop auf den Tisch vor mir. Mama hatte nicht nur Kaffee gekocht, sie hatte auch eine Flasche Cognac mitgebracht. Dick steckte eine Hand in seinen Pullover und holte eine Schachtel Zigarillos hervor.
    Er hielt sie Mama hin, aber sie wollte nicht. Dann drehte er sich zu mir um.
    »So, so, du sitzt also auf dem Steg und surfst im Internet.«
    »Ich hab mir einen Film angeguckt«, sagte ich.
    Dick nahm die Streichholzschachtel vom Tisch, öffnete sie, fischte ein Streichholz heraus und entzündete es. Den Zigarillo hatte er zwischen den zusammengepressten Lippen.
    »Welchen?«
    »Tarzan – the ape man. Von 1932.«
    »Ist der gut?«, fragte Dick.
    »Johnny Weisssmüller war einer der Ersten, der richtig schnell geschwommen ist«, sagte ich.
    »Tom schwimmt auch«, sagte Mama.
    »Wirklich?«, sagte Dick. »Bist du gut?«
    »Meister seiner Schule«, sagte Mama. »Das warst du doch?«
    »Komisch«, sagte ich, »sich vorzustellen, wie viele Menschen sie gesehen haben, Tarzan und Jane. Seit 1932. Das ist komisch.«
    »Was soll daran komisch sein?« Dick lachte, als ob ich einen Witz gemacht hätte.
    »Dass so viele Menschen den Film gesehen haben«, sagte ich.
    »Was soll daran so komisch sein?«, wiederholte Dick. »Das ist doch der Sinn der Filmindustrie. Dass die Leute hinsehen.«
    »Sie sind tot«, sagte ich. »Alle beide, Tarzan und Jane. Sie sind beide tot, und wenn man sich den Film anguckt, dann sehen sie ganz lebendig aus.«
    Dick lachte wieder und schüttelte den Kopf.
    »Klar sehen die lebendig aus. Warum sollte man sie sonst filmen?«
    Er legte den Kopf zurück und blies Rauch in das schwarze Laubwerk über uns.
    »Tarzan hat nie zu meinen Helden gehört«, sagte er. »Ich Tarzan – Du Jane. Das ist mir zu blöd.«
    »Weissmüller hat einen altmodischen Schwimmstil«, sagte ich.
    »In welcher Zeit bist du fünfzig Meter geschwommen?«, fragte Mama.
    »Ist Weissmüller nicht fett geworden, als er alt war?«, fragte Dick.
    »Alle werden fett, wenn sie alt sind«, sagte Mama.
    »Aber nein«, behauptete Dick. »Keineswegs. Und bis zum Alter ist es noch weit. In diesem Land liegt die mittlere Lebenserwartung bei fast achtzig. Frauen leben sogar noch länger.«
    »Willst du wieder mit Schwimmen anfangen?«, fragte Mama und nippte an ihrem Cognac.
    »Die Polizei hat einen guten Club«, sagte Dick. »Der hat schon viele Stars hervorgebracht. Wie hieß die eine noch? Jane? Cederkvist. Oder ist die für Neptun geschwommen?«
    »Willst du das nicht machen?« Mama versuchte, ihre Stimme enthusiastisch klingen zu lassen. »Du hast immer gesagt, dass dir das Training solchen Spaß macht.«
    »Nach zwei Wenden hab ich keine Lust mehr«, sagte Dick. »Schwimmen ist genauso langweilig wie Lauftraining. Mein Vater ist für Neptun geschwommen.«
    »Sie heißt Maureen«, sagte ich. »Die Schauspielerin, die Jane spielt. Sie hat eine perfekte Frisur, auch wenn sie badet.«
    Dick lachte.
    »Genau das meine ich! Die Geschichte ist einfach zu dämlich.«
    »Tarzan hat keine Eltern, oder?«, fragte Mama.
    »Ich bin müde, gute Nacht.«
    Ich nahm den Laptop und ging ins Haus. Bevor ich in mein Zimmer ging, schaute ich nach der Katze in der Küche. Das Licht über der Spüle brannte. Die Katze lag regungslos da.
    Vor dem Einschlafen sah ich mir den ganzen »Tarzan – the ape man« an und stellte fest, dass mir Maureen sehr gut gefiel. Ich hätte sie wirklich gern kennengelernt. Es war nicht nur so, dass sie hübsch war. Ich glaube, sie wäre mein Typ.

    14

    Ich wurde vom Regen geweckt, der gegen mein Fenster prasselte,

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