Du musst die Wahrheit sagen
Türen quollen Schüler, die in Richtung Treppenhaus liefen. Manche lachten, und andere unterhielten sich. Hier und da sah man Lehrer, die sich mit gerecktem Hals einen Überblick zu verschaffen versuchten.
Und unterdessen heulte ununterbrochen der Alarm.
Plötzlich war die Schwarzgelockte neben mir.
»Ich heiße Nadja.«
»Ich heiße Tom«, sagte ich. »Ich soll in die 8a gehen.«
»Das sind wir«, sagte Nadja. »Ich hab noch nie jemanden gekannt, der Tom heißt.«
»Ich hab auch noch nie ein Mädchen gekannt, das Nadja heißt«, sagte ich. »Ist das hier eine Feuerwehrübung?«
»So kann man es nicht gerade nennen«, antwortete Nadja. »Im letzten Schuljahr gab es einmal in der Woche Alarm. Im Winter war das überhaupt nicht witzig. Man darf seine Sachen nicht aus dem Schrank holen, sondern muss sofort raus.«
»Wer macht solchen Scheiß?«
»Tony und seine Kumpel. Woher kommst du?«
»Sundsvall, aber ich hab schon in mehreren anderen Orten gewohnt.«
Nadja strich sich einige Locken aus dem Gesicht und rückte ihre Brille zurecht.
»Wo wohnst du?«, fragte sie.
»Am Hällsjön.«
»Da wohne ich auch.«
»Ich wohne auf der Seite, wo es nur zwei Häuser gibt«, sagte ich.
Sie sah interessiert aus.
»Ich wohne in dem Mietshaus hinter dem Bahnhof.«
Wir hatten die Halle erreicht, und aus allen Richtungen strömten Schüler zusammen.
»Raus! Raus!«, rief eine Frau mit kurz geschnittenen grauen Haaren in weißen Turnschuhen und blauem Trainingsoverall. Um ihren Hals hing eine Trillerpfeife an einer Schnur. Das ließ keinen Zweifel daran, was ihr Hauptunterrichtsfach war.
Draußen mussten wir zum Parkplatz der Lehrer gehen. Tubal strich mit der Hand über den Lack eines Autos, das noch ganz neu aussah. Er grinste und zwinkerte Ludde zu. Wir stellten uns hinter der Turnhalle auf.
»Kommt jetzt die Feuerwehr?«, fragte ich.
Nadja schüttelte den Kopf, dass ihre Locken flogen.
»Die kommt nicht mehr. Der Hausmeister geht rum und kontrolliert. Die Feuerwehr kommt nur, wenn es wirklich brennt.«
»Und – tut es das?«
»Was?«
»Richtig brennen.«
»Manchmal. Meistens auf einem Klo. Da verbrennen sie Bücher.«
Während wir auf dem Schotterplatz standen, kam die Lehrerin zu mir.
»Du musst Tom sein«, sagte sie. »Ich heiße Margit Lundin.«
Dann warf sie einen Blick auf das Schulgebäude.
»Ich glaube, jetzt können wir wieder reingehen.«
Der ganze Haufen aus Schülern und Lehrern trabte zurücküber die Wiese, Tubal versuchte die ganze Zeit, Ludde in die Kniekehlen zu treten.
In unserem Klassenzimmer angekommen, schickte Frau Lundin mich und den schmächtigen Ninne ins Nebenzimmer, um Stühle und einen Tisch zu holen. Als wir zurückkamen, war dafür nur noch bei der Tür Platz. Ich setzte mich an die Wand, Ninne daneben. Er sah aus, als erwartete er, dass ich etwas Gemeines sagte. Nachdem ich gesagt hatte, wie ich heiße und dass ich aus Sundsvall komme, öffnete er den Mund und brachte ein unsicheres Lächeln zustande. Er schien nicht recht zu wissen, ob er sich freuen oder zu weinen anfangen sollte. Er roch nach Milch.
»Wie heißt du?«, fragte ich.
»Patrik«, antwortete er. »Aber alle nennen mich nur Ninne.«
»Warum?«
Er gab sich Mühe auszusehen, als ob es witzig wäre, was er sagte.
»In der Schule heiße ich eben Ninne.«
Und dann versuchte er es zu erklären.
»Weil ich so große Schneidezähne habe. Sie nennen mich Kaninchen, aber meistens wird nur Ninne draus.«
»Du hast doch gar keine großen Schneidezähne«, behauptete ich. »Du solltest mal meinen Bruder sehen. Der hat Hauer!«
Frau Lundin verteilte Zettel, und dann musste man sich einen Stift und einen Radiergummi holen.
»Ihr habt dreißig Minuten Zeit für den Test!« Sie musste ziemlich laut sprechen, um Ludde und Tubal zu übertönen. »Ich möchte wissen, woran ihr euch noch erinnern könnt.«
»Wird das benotet?«, fragte ein Mädchen, das einen Rock, ein Haarband und ein Pikee-Shirt trug. Sie sah aus, als wäre sie zwei Jahre älter als alle anderen.
»Das ist ein Test, um euren Wissensstand zu überprüfen«, antwortete Frau Lundin.
»Kann ich nicht!«, rief Tubal und warf den Stift auf den Boden.
»Ich auch nicht«, quengelte Ludde.
Ich überflog den Test. Zehn Aufgaben. Die erste löste ich im Kopf, sobald ich einen Blick darauf geworfen hatte. Die zweite auch. Dann musste ich anfangen zu rechnen, aber auf dem ganzen Zettel fand ich keine einzige schwere Aufgabe.
»Wozu soll das gut sein?«,
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