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Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mats Wahl
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hätte er sich ein Bein gebrochen. Die Frau fragte nach der Adresse, und in dem Moment bekam ich Schwierigkeiten, ich konnte mich nämlich nicht erinnern.
    »Ich bin gerade erst hierhergezogen«, erklärte ich. »Warten Sie bitte. Ich guck mal nach.«
    Ich ging ins Wohnzimmer und holte den Stapel Rezepte. Von einem las ich seine Adresse ab. Dann fragte sie, wie ich hieß und ob ich bleiben könnte, bis der Krankenwagen kam.
    Ich saß neben ihm auf der Treppe, während wir warteten. Von Zeit zu Zeit stöhnte er, und ich überlegte, ob ich ihn anders hinlegen sollte, traute mich jedoch nicht. Nachdem ich eine Weile neben ihm gesessen hatte, ging ich zu dem Rezeptstapel und holte die Statue. Vielleicht wollte er sie in der Hand halten. Ich gab sie ihm, aber er ließ sie bald wieder los, und sie fiel auf die Treppenstufe. Ich hob sie auf und hielt sie fest und gab sie ihm nicht zurück.
    Plötzlich standen die Sanitäter vor uns. Es waren ein Mann mit behaarten Armen und kahlem Schädel und eine Frau mit breiten Hüften und Pferdeschwanz. Beide waren grün gekleidet, der Mann hatte eine Tasche bei sich und kniete sich nebenBerger, öffnete die Tasche, nahm etwas heraus und untersuchte Berger hier und da, während er gleichzeitig versuchte, mit ihm zu sprechen. Die Frau nahm mich beiseite, und wir gingen ins Wohnzimmer.
    »Seid ihr verwandt?«
    »Wir sind Nachbarn«, sagte ich. »Ich war hier, um seine Hecke zu schneiden. Als ich fertig war, bin ich ins Haus gegangen und habe ihn auf der Treppe gefunden.«
    »Was meinst du, wie lange er dort gelegen haben mag?«
    »Weiß nicht. Schlimmstenfalls mehr als eine Stunde.«
    »Wohnt er allein?«
    »Ja.«
    »Hat er Verwandte oder Freunde, die wir benachrichtigen können?«
    »Glaub ich nicht.«
    Sie kehrte zurück zu ihrem Kollegen, der nun neben Berger saß. Einen Augenblick später hatten sie eine Trage geholt und Berger daraufgehoben. Ich folgte ihnen zum Krankenwagen und sah zu, wie sie ihn ins Auto schoben. Bergers Augen waren geschlossen.
    Die Frau drehte sich zu mir um.
    »Am besten, wir schließen das Haus ab.«
    Sie ging wieder in den Garten, und als sie zurückkehrte, hatte sie den Schlüssel in der Hand. Ich dachte an die unverschlossene Kellertür, sagte aber nichts.
    »Die möchte er bestimmt haben«, sagte ich und reichte der Frau in der grünen Kleidung die kleine Statue. Die Frau nahm sie entgegen, warf einen flüchtigen Blick darauf, nickte und stieg zu Berger in den Krankenwagen.
    Nachdem der Krankenwagen hinter der Kurve verschwunden war, ging ich wieder in den Garten. Ich hörte den Specht auf der anderen Seite der Ligusterhecke, konnte ihn aber nicht entdecken. Er hämmerte, fast vorsichtig, an einem Stamm oder einemZweig. Ich habe Spechte immer gemocht, besonders den großen schwarzen, den man selten zu Gesicht bekommt, und den grünen, der beinah ausgerottet ist.
    Der Wind hatte die Wolken vertrieben, jetzt war der Himmel vollkommen klar, mitten auf dem See lag das Schwanenpaar.
    Die Packung mit dem Knäckebrot lag neben der Teetasse und daneben »Die schönsten Gedichte von Rainer Maria Rilke«. Ich trug alles miteinander in den Keller und deponierte die Sachen neben einer halb leeren Flasche Leinöl. Dann stieg ich die innere Treppe hinauf zur Diele, ging ins Wohnzimmer und ließ mich auf Bergers Stuhl nieder.
    An der Wand hingen die drei rätselhaften nackten Männer. Einer starrte mich an, als hätte er mich noch nie gesehen. Mir kam es vor, als würde er den Mund verziehen.
    Dann holte ich das Gewehr hinter der Tür hervor, ging damit durch den Keller in den Garten und legte es an einer Stelle neben der Ligusterhecke ab, wo ich das hohe Gras beim Mähen nicht erwischt hatte. Ich quetschte mich durch den letzten einsamen Ligusterbusch am See hinüber auf unser Grundstück und ging ins Haus. Auf mein Rufen antwortete niemand. Erst als ich sicher war, dass das Haus leer war, holte ich das Gewehr und trug es in mein Zimmer, öffnete die Tür zur Abseite und zog die Schublade auf, in der ich die Schlange eingesperrt hatte. Darin war gerade genügend Platz für die Gewehrtasche. Ich schob die Schublade zu, schloss sie ab und steckte den Schlüssel in die Hosentasche. Dann warf ich mich auf mein Bett. Van Gogh sah begeistert aus.
    Nach einer Weile kramte ich einen meiner Lieblingsfilme hervor und ging damit ins Wohnzimmer, holte ein paar Kissen aus Mamas Zimmer und sah mir den Film in unserem neuen Fernseher an. Ich konnte fast alle Dialoge auswendig. Den

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