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Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mats Wahl
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nicht treffen?«, fragte ich Mama.
    Annie war empört.
    »Natürlich will sie ihren Vater treffen. Nicht alle sind wie du.«
    Ich verstand nicht, was sie meinte.
    »Was soll das denn?«, fragte ich.
    »Du triffst deinen Vater nie. Du kannst einem echt leidtun. Aber Mama muss ja nicht genauso sein wie du.«
    »Ich kapier gar nichts mehr«, sagte ich. »Was meinst du denn damit?«
    »Wie blöd kann ein Mensch eigentlich sein?« Annie verdrehte die Augen.
    »Hört jetzt auf«, sagte Mama. »Haben die Sanitäter nicht gesagt, in welches Krankenhaus sie ihn bringen?«
    Sie sah mich an, als glaubte sie, ich hielte ein Geheimnis zurück.
    »Kein Wort«, sagte ich. »Aber wenn du ein bisschen rumtelefonierst, kriegst du es sicher heraus.«
    »Du musst mit ihm reden«, sagte Annie. »Stell dir vor, er ist dein Vater, und dann stirbt er, bevor ihr ein Wort miteinander gewechselt habt.«
    Mama nahm einen großen Schluck Wein.
    »Warum hast du nie mit ihm geredet?«, fragte Annie.
    Mama sah verlegen aus.
    »Großmutter wollte es nicht.«
    »Ihr seid zwanzig Jahre Nachbarn gewesen!«, platzte Annie heraus. »Wie hast du es geschafft, zwanzig Jahre lang kein Wort mit ihm zu reden?«
    »Großmutter hat es mir verboten.«
    »Zwanzig Jahre!«, stöhnte Annie. »Was hat Großmutter denn Schlimmes von ihm erzählt?«
    »Kein guter Mensch. Berger ist kein guter Mensch. Das war alles. Ich durfte nicht mit ihm sprechen. Sie hat gesagt, ich sollte so tun, als würde es ihn nicht geben, ich sollte ihn nicht grüßen, ihn wie Luft behandeln.«
    Annie sah sie verständnislos an.
    »Wie behandelt man denn einen schlechten Menschen, hat Großmutter das nicht auch gesagt?«
    Es dauerte eine Weile, bevor Mama antwortete.
    »Ich glaube, ich hab gedacht, dass er irgendwas getan hat.«
    »Was?«, fragte Annie. »Was getan?«
    Mama seufzte.
    »Irgendeine Art Gewalttat. Sie hat gesagt, dass er gewalttätig werden konnte.«
    Annie starrte sie an.
    »Was für eine Gewalttat?«
    »Irgendeine.«
    »Aber was hat er denn getan?«
    Mama holte tief Luft und stieß die Worte hervor, als wäre ihr die Lage erst jetzt klar geworden, als versuchte sie, sich selbst von ihrer eigenen Stärke und Entschlossenheit zu überzeugen.
    »Ich habe es so verstanden, dass man ihm nicht trauen kann. Er muss Großmutter irgendetwas angetan haben.«
    »Was hat er getan?«
    »Das hat sie mir nicht erzählt.«
    »Hat Berger Großmutter etwas angetan?«, flüsterte Annie.
    Mama leckte sich über die Lippen und sah erst Annie und dann mich an. Sie trank einen Schluck Wein.
    »Vielleicht nicht Großmutter direkt, aber vielleicht jemand anderem.«
    Annie sah immer noch verständnislos aus.
    »Warum hast du das geglaubt?«
    »Ich hatte keinen Grund, es nicht zu glauben.«
    »Wieso?«
    »So hat sie eben über ihn geredet.«
    Annie heulte auf. »Aber wie?«
    »Wie wie?«
    »Wie hat sie von ihm geredet?«, fragte Annie, die jetzt sehr erregt war.
    »Was hast du vorhin über meinen Vater gesagt?«, fragte ich.
    Annie warf mir einen vernichtenden Blick zu, der mir befahl, das Maul zu halten.
    »Was hast du über meinen Vater gesagt?«, wiederholte ich.
    »Geh in dein Zimmer«, fauchte Annie. »Ich red nicht mit dir über deinen Vater. Ich rede mit Mama über ihren Vater. Geh nach oben, damit Mama und ich uns in Ruhe unterhalten können.«
    »Was hast du über mich und meinen Vater gesagt?«, fragte ich.
    »Verschwinde!«, brüllte Annie. »Du kapierst das alles nicht.«
    Sie starrte mich mit offenem Mund an.
    Ich stellte die Teller in die Spülmaschine. Als ich nach oben ging, hörte ich, wie sie wieder anfingen zu reden.

    20

    Ich rief Nadja an und hinterließ eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter. Kaum hatte ich aufgelegt, rief sie schon zurück.
    »Was machst du?«, fragte ich.
    »Ich will gleich unter die Dusche. Gibt’s was Besonderes?«
    »Wollte nur wissen, ob du ihn morgen sehen willst.«
    »Den Film?«
    »Den besten. Meinen Lieblingsfilm.«
    Sie dachte eine Weile nach, bevor sie antwortete. Im Hintergrund hörte ich den Vorortzug vorbeifahren.
    »Klar«, sagte sie. »Vielleicht können wir auch im See baden. Es soll schönes Wetter werden. Lisa macht morgen einen Badeausflug.«
    »Beim Baden kann ich dir einen Hinweis geben«, sagte ich.
    Sie lachte.
    »Was für einen Anhaltspunkt?«
    »Der hat was mit Wasser zu tun.«
    Sie schwieg wieder.
    »Wenn der Film von einem U-Boot handelt, interessiert er mich nicht.«
    »Von einem U-Boot handelt er nicht«, sagte ich. »Du bekommst

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