Du oder das ganze Leben
schlage ich die entsprechende Seite in meinem Chemiebuch auf. »Ohne hinzugucken, auf welche Temperatur muss es heruntergekühlt werden?«, frage ich.
Alex ist ein Typ, der Herausforderungen liebt. Aber dieses Mal wird der harte Kerl verlieren. Er klappt sein eigenes Buch zu. Seine Miene drückt Entschlossenheit aus. »Minus sechs Komma sechs. Und die Lösung muss auf siebenunddreißig Grad erhitzt werden«, antwortet er selbstbewusst.
Ich scanne die Seite, dann meine Notizen. Dann wieder die Seite. Ich kann mich doch nicht dermaßen geirrt haben. Welche Seite habe ich … »Ach, tatsächlich. Siebenunddreißig Grad.« Ich sehe ihn fassungslos an. »Du hast recht.«
»Küsst du mich jetzt oder nachher?«
»Jetzt sofort«, erwidere ich, was ihn offensichtlich schockt, denn er erstarrt. Zu Hause wird mir mein Leben von Mom und Dad diktiert. In der Schule ist es etwas anderes. Und ich muss dafür sorgen, dass es so bleibt, denn wenn ich die Kontrolle über sämtliche Bereiche meines Lebens verliere, kann ich genauso gut Schaufensterpuppe werden.
»Echt?«, fragt er.
»Ja.« Ich nehme eine seiner Hände in meine. Ich wäre nie so forsch, wenn wir Zuschauer hätten, und ich bin dankbar für die Privatsphäre, die uns die Sachbücher gewähren. Seine Atmung verlangsamt sich, als ich mich hinknie und zu ihm beuge. Ich ignoriere die Tatsache, dass seine Finger lang und rau sind und ich ihn noch nie zuvor berührt habe. Ich bin nervös. Dabei gibt es dafür keinen Grund. Ich bin dieses Mal diejenige, die die Kontrolle hat.
Ich fühle, dass er sich zurückhält. Er lässt mich machen. Was gut ist. Ich habe Angst davor, was dieser Junge alles tun könnte, wenn er das Ruder übernähme.
Ich lege seine Hand an meine Wange, sodass sie mein Gesicht umfängt und höre ihn leise stöhnen. Ich unterdrücke ein Lächeln, denn seine Reaktion beweist, dass ich Macht über ihn habe.
Er hält vollkommen still, als unsere Blicke sich treffen.
Die Zeit steht wieder still.
Dann drehe ich den Kopf in seiner Hand und küsse die Innenseite seiner Hand.
»Bitte sehr, ich habe dich geküsst«, sage ich, lass seine Hand los und beende das Spiel.
Mr Latinlover mit dem Riesenego ist von einer kleinen dummen Superblondine reingelegt worden.
14
Alex
»Das nennst du einen Kuss?«
»Mm.«
In Ordnung, ich stehe also unter Schock, weil das Mädchen meine Hand an ihre samtweiche Wange gepresst hat. Verdammt, so wie mein Körper reagiert hat, könnte man glatt meinen, ich hätte etwas eingeworfen.
Es ist keine Minute her, dass sie mich komplett in ihren Bann gezogen hatte. Die kleine Hexe hat den Spieß umgedreht und hatte auf einmal die Oberhand. Sie hat mich ausgetrickst, das steht fest. Ich lache und ziehe damit absichtlich die Aufmerksamkeit der anderen auf uns, weil ich weiß, dass es genau das ist, was sie um jeden Preis vermeiden will.
»Sch«, macht Brittany und haut mir auf die Schulter, damit ich aufhöre. Als ich daraufhin nur noch lauter lache, nimmt sie ihr Chemiebuch zu Hilfe und verpasst meinem Arm einen höllischen Schlag. Meinem verletzten Arm.
Ich krümme mich vor Schmerzen. »Au!« Die Schnittwunde an meinem Oberarm fühlt sich an, als würden eine Million Bienen darauf einstechen. » Cabrón me dolio !«
Sie beißt sich auf die mit zartrosa Bobbi-Brown-Lipgloss geschminkte Unterlippe, das ihr meiner Meinung nach wunderbar steht. Ich hätte allerdings auch nichts einzuwenden, wenn sie ihre Lippen demnächst mal pink anmalen würde.
»Habe ich dir wehgetan?«, fragt sie besorgt.
»Ja«, erwidere ich mit zusammengebissenen Zähnen und versuche mich anstatt auf den Schmerz auf ihr Lipgloss zu konzentrieren.
»Gut.«
Ich hebe meinen Ärmel, um die Wunde zu untersuchen. Sie hat wieder zu bluten begonnen, dank meiner reizenden Chemiepartnerin. Dabei hatte der Arzt sie nach dem Kampf gegen die Satin Hoods mit einigen Klammern fachgerecht versorgt. Brittany hat einen ganz ordentlichen Schlag für jemanden, der so ein Fliegengewicht ist.
Sie holt erschrocken Luft und weicht zurück. »Oh mein Gott! Ich wollte dir nicht wehtun, Alex. Das musst du mir glauben. Als du gedroht hast, mir die Wunde zu zeigen, hast du deinen linken Ärmel hochgeschoben.«
»Ich wollte sie dir auch nicht wirklich zeigen«, sage ich. »Ich hab dich nur verarscht. Schon okay.« Ich versuche sie zu beruhigen. Himmel, man könnte meinen, das Mädchen hätte noch nie zuvor Blut gesehen. Andererseits fließt in ihren Adern wahrscheinlich kein rotes,
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