Du oder das ganze Leben
Punkt. Das passiert mir jedes Mal, wenn ich nervös bin.«
Mrs Fuentes sieht mich an, als sei bei mir eine Schraube locker. »Fahr fort«, drängt sie mich.
»Ja, also, ich weiß, dass wir keinen optimalen Start hatten. Und es tut mir leid, falls ich Ihnen in irgendeiner Weise zu nahe getreten bin, als wir uns letztens gesehen haben. Ich wollte nur, dass sie wissen, dass ich nicht mit der Absicht in Ihr Haus gekommen bin, Alex zu küssen.«
»Entschuldige meine Neugierde, aber was genau sind deine Absichten?«
»Wie bitte?«
»Was sind deine Absichten in Bezug auf Alex?«
»Ich … ich bin mir nicht sicher, was Sie von mir hören möchten. Um ehrlich zu sein, sind wir gerade dabei, es herauszufinden.«
Mrs Fuentes legt mir eine Hand auf die Schulter. »Der Herrgott weiß, dass ich nicht die beste Mutter der Welt bin. Aber ich liebe meine Söhne mehr als das Leben selbst, Brittany. Und ich würde alles tun, um sie vor Unheil zu schützen. Ich sehe, wie er
dich ansieht, und mir wird angst und bange. Ich könnte es nicht ertragen, dass ihm noch einmal von jemandem wehgetan wird, den er liebt.«
Als ich das höre, sehne ich mich plötzlich nach so einer Mutter. Einer Mutter, die sich bedingungslos um mich sorgt und mich bedingungslos liebt, so wie Alex’ Mutter ihren Sohn. Ihre Familie bedeutet ihr alles.
Es ist beinah unmöglich, zu schlucken, was Mrs Fuentes gesagt hat. Ihre Worte lassen einen Kloß von der Größe eines Golfballs in meinem Hals zurück.
Die Wahrheit ist, in letzter Zeit fühle ich mich nicht mal mehr als Teil meiner Familie. Ich bin die Tochter, von der meine Eltern erwarten, dass sie die ganze Zeit das Richtige sagt und tut. Ich spiele diese Rolle schon so lange, damit meine Eltern sich auf Shelley konzentrieren können, die ihre ungeteilte Aufmerksamkeit braucht.
Manchmal ist es kaum noch zu ertragen, die Rolle des »normalen Kindes« jeden Tag aufs Neue spielen zu müssen. Noch nie hat man mir gesagt, dass ich nicht immer perfekt sein müsse. Die Wahrheit ist, dass mein Leben unter einem riesigen Berg von Schuldgefühlen begraben ist.
Ich fühle mich schuldig, weil ich das normale Kind bin.
Ich fühle mich schuldig, weil ich stets das Gefühl habe, dafür sorgen zu müssen, dass Shelley ebenso geliebt wird wie ich.
Ich fühle mich schuldig, weil ich Angst davor habe, meine eigenen Kinder könnten so werden wie Shelley.
Ich fühle mich schuldig, weil es mir peinlich ist, wenn die Leute Shelley anstarren.
Es wird nie aufhören.Und wie sollte es auch, wo ich schon bis zu den Ohren in Schuld vergraben zur Welt gekommen bin? Für Mrs Fuentes bedeutet Familie Liebe und Geborgenheit. Für
mich ist Familie gleichbedeutend mit Schuld und an Bedingungen geknüpfte Liebe.
»Mrs Fuentes, ich kann nicht versprechen, dass ich Alex nicht wehtun werde. Aber ich kann mich auch nicht von ihm fernhalten, wenn es das ist, was Sie wollen. Das habe ich schon versucht.« Denn mit Alex zusammen zu sein, nimmt meinem Leben die Dunkelheit. Ich fühle, wie sich Tränen in meinen Augenwinkeln bilden und meine Wangen hinunterrollen. Verzweifelt schiebe ich mich auf der Suche nach einer Toilette durch die Menge.
Paco kommt gerade aus dem Badezimmer, als ich an ihm vorbeihaste.
»An deiner Stelle würde ich einen Moment warten, bevor …« Pacos Stimme verstummt, als ich die Tür hinter mir schließe und den Riegel vorlege. Ich wische mir über die Augen und starre in den Badezimmerspiegel. Ich sehe furchtbar aus. Meine Wimperntusche verläuft und … ach, es hat keinen Sinn. Ich lasse mich an der Wand entlang auf den kalten, gefliesten Boden sinken. Jetzt wird mir klar, was Paco mir zu sagen versucht hat. Es riecht, es stinkt dermaßen, dass mir beinah übel wird. Ich lege die Hand über meine Nase und versuche den entsetzlichen Gestank zu ignorieren, während ich über Mrs Fuentes Worte nachdenke.
Ich sitze auf dem Badezimmerboden, wische mir die Tränen mit Toilettenpapier ab und tue mein Bestes, um meine Nase zu bedecken.
Ein lautes Klopfen unterbricht meinen Weinkrampf. »Brittany, bist du da drin?«, tönt Alex’ Stimme durch die Tür.
»Nein.«
»Bitte komm heraus.«
»Nein.«
»Dann lass mich rein.«
»Nein.«
»Ich möchte dir etwas auf Spanisch beibringen.«
»Was denn?«
»No es gran cosa.«
»Was bedeutet das?«, frage ich, das Papier immer noch vor die Nase haltend.
»Ich verrate es dir, wenn du mich reinlässt.«
Ich schiebe den Riegel zurück.
Alex kommt herein. »Es bedeutet,
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