Du oder der Rest der Welt
nimmt seine Aktentasche und atmet erleichtert auf. »Bereit zum Abflug, Jungs?«
Ich schließe die Augen und reibe sie fest. Ich wünsche mir, dass ich mich auf magische Weise in Chicago wiederfinde, wenn ich meine Augen öffne. »Sie wollen nicht wirklich eine Antwort auf diese Frage, oder?«
Ein kleines Lächeln huscht über sein Gesicht. »Nicht wirklich. Da hast du recht. Und du hast auch recht, dass ich keine Ahnung von deinem Leben habe. Aber du auch nicht von meinem. «
»Ach, kommen Sie, Professor. Ich würde mein linkes Ei darauf verwetten, dass Ihr größtes Problem die Entscheidung war, in welchem Country Club Sie Mitglied werden sollten.«
»Ich würde nicht darauf wetten, wenn ich du wäre«, sagt er, als wir das Haus verlassen. »Wir sind noch nicht mal im Country Club.«
Als wir bei seinem Auto sind beziehungsweise dem, was wohl sein Auto sein soll, weiche ich einen Schritt zurück. »Was ist das?«
»Ein Smart.«
Es sieht aus, als hätten sie einen Van in die Schrottpresse gesteckt, und das sei dabei herausgekommen. Ich wäre nicht überrascht gewesen, wenn Westford behauptet hätte, es sei einer dieser Autoskooter, mit denen die Kids auf der Kirmes rumfahren.
»Er ist sehr spritsparend. Meine Frau fährt den Geländewagen, aber da ich nur zur Arbeit und zurück gurke, war er die perfekte Wahl. Du kannst ihn gerne mitbenutzen, wenn du möchtest.«
»Du kannst auch bei mir mitfahren«, sagt Alex.
»Nein, danke«, erwidere ich, öffne die Tür des Smarts und setze mich auf den schmalen Beifahrersitz. Wenn man erst mal drinnen ist, kommt der Wagen einem gar nicht mehr so winzig vor, aber ich habe trotzdem noch das Gefühl, in einem Miniaturraumschiff zu sitzen.
Der Richter braucht weniger als eine Stunde, um dem Professor die vorübergehende Vormundschaft zu übertragen und mir die Teilnahme am REACH-Programm zu gewähren, anstatt mich in den Knast zu stecken oder mich zu Sozialstunden zu verdonnern. Alex verabschiedet sich danach schnell, weil er eine Klausur schreiben muss, und so übernimmt es mein neuer Vormund, mich bei REACH anzumelden und zur Schule zu fahren.
REACH sitzt in einem Gebäude aus braunen Backsteinen, ein paar Blocks von der Highschool entfernt. Nachdem wir eine Weile in der Eingangshalle gewartet haben, werden wir in das Büro des Direktors geführt.
Ein fetter, großer Weißer, der wahrscheinlich annähernd 140 Kilo wiegt, begrüßt uns. »Ich bin Ted Morrisey, der Direktor von REACH. Und du musst Carlos sein.« Er blättert die Akte durch und sagt: »Erzähl mir, warum du hier bist.«
»Richterliche Anweisung.«
»Hier in meiner Akte steht, dass du vergangenen Freitag wegen Drogenbesitzes verhaftet worden bist.« Er sieht hoch. »Das ist eine ernste Straftat.«
Nur, weil man mich erwischt hat. Das Problem ist, ich bin ein Mexikaner mit Verbindungen zu einer Gang. Dieser Typ wird mir nie im Leben glauben, dass ich reingelegt wurde. Ich bin überzeugt, er hat von den meisten Typen hier »Ich wars nicht« zu hören bekommen. Ich werde rausfinden, wer mir das eingebrockt hat … und am Ende meine Rache bekommen.
Die nächste halbe Stunde lang hält Morrisey Den Vortrag . Um es zusammenzufassen: Es geht darum, dass ich mein Schicksal und meine Zukunft in die Hand nehme. Das hier ist meine letzte Chance. Wenn ich bereit dazu bin, wird das Programm mir helfen und mir die Werkzeuge an die Hand geben, mein Potential zu nutzen. Bla, bla, bla. Wenn ich das Programm abschließe, werden die Berufsberater sich ins Zeug legen, mir entweder einen Job oder die Aufnahme an einer weiterführenden Schule zu verschaffen. Ein paar Mal kann ich mich gerade noch zurückhalten, so zu tun, als würde ich schnarchen. Ich frage mich, wie Westford es schafft, entspannt dazusitzen und sich Morriseys Bockmist anzuhören, ohne eine Miene zu verziehen.
»Und nur damit wir uns verstehen«, sagt Morrisey, während er den Leitfaden für REACH-Schüler hervorholt und Seite für Seite durchgeht, »wir unterziehen unsere Schüler während des ganzen Jahres immer wieder unangekündigten Drogentests. Wenn wir auch nur eine einzige illegale Substanz in deinem Blut nachweisen können oder bei dir finden, wird dein Vormund informiert und du wirst aus dem REACH-Programm geworfen, was automatisch deinen dauerhaften Schulverweis zur Folge hat. Die meisten Jugendlichen enden in Haft, wenn sie gegen ihre Auflagen verstoßen.«
Morrisey händigt mir und Westford eine Kopie der REACH-Regeln aus. Dann faltet er
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