Du oder die grosse Liebe
antworten.
»Er ist da«, wispere ich Kendall zu.
»Nikki wollte nachsehen, ob mit dir alles okay ist.« Derek winkt mich zu sich. »Ich steh direkt vor deiner Tür, falls du etwas brauchst … zum Beispiel einen Krankenwagen.«
Ich schnappe erschrocken nach Luft, als ich Luis mit dem Rücken an der Wand auf dem Bett sitzen sehe. Sein Kopf ruht in seinen Händen. Er hat überall Blut im Gesicht. Sein Kopf ist rasiert und sein völlig blutdurchtränktes T-Shirt liegt zerfetzt auf dem Boden.
Granny sitzt neben ihm, ihr Kopf ruht auf seinem Oberschenkel. Sie weiß, wie sehr er leidet.
Ich bin im nächsten Moment an seiner Seite, habe aber Angst, ihm wehzutun, wenn ich sein Gesicht berühre. »Was haben sie mit dir gemacht?«, frage ich sanft und versuche, dem Sturm der Gefühle Herr zu werden, der mich mit sich zu reißen droht. Ich muss stark bleiben, für Luis.
»Geh weg«, stöhnt er.
»Ich werde nicht gehen, solange du so aussiehst«, flüstere ich.
»Ich brauche dich hier nicht und will dich nicht hier haben. Wir sind fertig miteinander, schon vergessen? Ich bin auf dein Mitleid nicht angewiesen.«
»Nun, du siehst aber ganz danach aus. Schluck deinen Stolz runter und lass mich dir helfen.«
Sie haben ihm das wunderschöne Haar abrasiert, das sein Markenzeichen war. Haben sie ihn dafür mit Gewalt runtergedrückt oder hat er seinen Kopf unterwürfig gesenkt und es sich freiwillig abrasieren lassen? So oder so waren sie nicht besonders sanft. Er hat überall am Kopf Schnittwunden.
»Sie haben dir den Kopf rasiert.«
Mir war es bis jetzt nicht bewusst, aber sein hochgegeltes, jungenhaftes Haar war ein Symbol seiner Unschuld und Persönlichkeit. Jetzt sieht er so tough aus … so nach Latino Blood. Ich lege meine Finger unter sein Kinn und zwinge ihn, mich anzusehen. Als er es tut, schnappe ich erschrocken nach Luft. Seine Lippen sind aufgeplatzt, seine Augen halb geschlossen, weil seine Lider geschwollen sind … und er hat überall rote, fiese Schnittwunden und Prellungen im Gesicht, auf dem Rücken und der Brust.
Als ich in seine Augen blicke, entdecke ich eine bodenlose Leere darin, die mir Angst macht. Wird er sich ändern und so werden wie Marco?
»Welchen Teil von ›geh weg‹ hast du nicht verstanden?«, fragt er.
Als er den Kopf wieder in die Hände fallen lässt, erhasche ich einen kurzen Blick auf die Buchstaben L und B, die in seinen Bizeps geritzt worden sind.
»Du gehörst ins Krankenhaus«, sage ich zu ihm.
»Geht nicht. Sie würden mich fragen, was passiert ist.« Er sieht zu mir hoch. »Ich bin an ein Schweigegelübde gebunden. Weißt du, was ich brauche, Nik? Drogen. Illegale. Und zwar viele davon. Und sorg dafür, dass ich mich so zudröhnen kann, dass der Trip ’ne ganze Weile dauert.«
»Hör auf, solchen Mist zu reden.« Ich setze mich auf das Bett und schenke ihm einen langen, umbarmherzigen Blick. »Folgendes wird passieren: Du lässt zu, dass ich deine Wunden säubere. Danach kannst du mir befehlen zu gehen.«
»Hast du mich nicht gehört? Wenn du keine Schmerzmittel hast, will ich dich nicht in meiner Nähe haben.«
»So ein Pech.«
Kendall und Derek helfen mir, ein paar Papiertücher mit Wasserstoffperoxid zu tränken. Ich knie mich vor Luis hin und drücke behutsam eines der Tücher auf einen Schnitt an seiner Augenbraue.
»Was ist aus dem Jungen geworden, der mir gesagt hat, dass er mich liebt?«, frage ich.
»Er ist gestorben«, antwortet er zynisch.
»Ich wollte dich wegstoßen«, bekenne ich. »Es ist mein Schutzmechanismus.«
»Gratulation, Nikki«, sagt er. »Es ist dir gelungen.«
Er versucht, meine Hände mit einer ruckartigen Kopfbewegung abzuschütteln, aber ich zwinge ihn, mich anzusehen, während ich sein Kinn säubere und einen üblen Schnitt an seiner Wange versorge. Als ich dazu übergehe, die Wunde an seinem Bizeps zu reinigen, starren mich die Buchstaben, die in seine Haut gefräst wurden und dauerhafte Narben zurücklassen werden, wütend an.
Er packt mein Handgelenk mit seinen starken Fingern und hält meine Hand fest, die im Begriff ist, das Blut abzuwischen, das immer noch aus der Wunde quillt. »Hör auf, mir zu helfen«, sagt er. »Ich bitte dich zu gehen.«
»Warum? Wir hatten etwas Besonderes, Luis. Ich möchte es vergessen, aber das kann ich nicht.«
Sein quälender Blick gleitet durch mich hindurch. »Belüg dich nicht selbst und bilde dir bloß nicht ein, dass das, was wir hatten, sich irgendwie von dem unterschieden hat, was du mit
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