Du oder die grosse Liebe
sie hat nur aus dem Grund zugestimmt, weil sie hoffte, ihre Eltern würden dann an der Zeremonie teilnehmen – auch wenn sie meinen Bruder hassen.
Sie hassen ihn, weil er Mexikaner ist.
Und arm.
Und weil er in einer Gang war.
Zwei von den drei Kriterien erfüllt er immer noch, was ihn zu einer inakzeptablen Partie für ihre Tochter macht. Sie kommt aus einer reichen, weißen und hochnäsigen Familie. Ich muss jedoch Mr Ellis, ihren Dad, etwas in Schutz nehmen. Er hat immerhin versucht, Alex kennenzulernen. Als er vor einiger Zeit in Boulder zu Besuch war, hat er Alex zum Golfspielen eingeladen. Das war eine dämliche Idee. Mein Bruder ist nicht der Golf-Typ. Ein Blick auf seine alten Gangtattoos hätte Mr Ellis das eigentlich verraten sollen.
Brittanys Eltern sind noch nicht aufgetaucht. Bis jetzt zumindest. Brittany hofft, ihre Eltern an ihrer Seite zu haben, wenn sie den Gang hinunterschreitet, aber Plan B ist, am Arm von Dr. Westford, dem Vater von Carlos’ Freundin, zum Altar zu schreiten. So oder so, mein Bruder wird am Ende des Ganges auf sie warten.
Alex geht Richtung Tür. »Versprecht mir nur eins. Falls sie mich heute Nacht aus dem Zimmer schmeißt, lasst mich bei einem von euch pennen.«
»Sorry«, sagt Carlos. »Ich habe Kiara seit neun Monaten nicht gesehen. Ich werde mein Hotelzimmer mit niemandem außer ihr teilen. Außerdem wird deine jungfräuliche Braut doch sicher wollen, dass du die Ehe vollziehst.«
Alex verdreht die Augen. Ich bin ziemlich sicher, dass sie ihre Beziehung schon vor Jahren vollzogen haben. Und genauso sicher bin ich, dass Carlos diese Tatsache bekannt ist.
»Du musst es ihr sagen«, ermahne ich ihn. »Und zwar vor der Hochzeit.«
»Dafür ist keine Zeit«, mischt Carlos sich ein. Die Sache scheint ihn prächtig zu amüsieren. »Echt schick, deine Ehe auf Lügen und Verrat aufzubauen. Du bist ein leuchtendes Vorbild, Brüderchen.« Er klopft Alex auf die Schulter.
» Cállate , Carlos. Ich werd’s ihr sagen.«
»Vor oder nach der Hochzeit?«, frage ich.
Durch das offene Fenster schweben Harfentöne in den Raum.
Wir drei sehen uns an.
Wir wissen, unsere Familie wird nie wieder dieselbe sein.
»Also schön, Jungs, es ist so weit«, sagt Alex und öffnet die Tür. Er hält plötzlich inne und senkt den Kopf. Seine Augenlider sind zusammengepresst. »Ich wünschte, Paco wäre hier«, murmelt er.
Paco war Alex’ bester Freund. Er ist gestorben, als Alex und er in der Highschool waren. Mein Bruder hat das nie verwunden.
»Ich auch«, sage ich und spüre, wie Wut in mir aufsteigt, während ich mich an diesen Menschen erinnere, den wir ehrenhalber wie einen Fuentes behandelt haben.
»Ja«, sagt Carlos. »Aber er ist hier. Du weißt, dass er zusieht.«
Alex nickt, dann richtet er sich zu voller Größe auf. Wenn Paco nicht gewesen wäre, stünde Alex heute nicht hier. Er läge ebenfalls in einem Sarg.
Meinen Brüdern ist nicht klar, dass ich weiß, wie Paco gestorben ist. Hector Martinez, der Kopf der Latino Blood, hat ihn erschossen. Hector hat auch meinen Vater getötet und Alex niedergeschossen. Hector war der Feind. Wenn er nicht tot wäre, wäre mein Leben komplett anders verlaufen, denn ich hätte es der Rache verschrieben.
Zum Zeitpunkt von Papás Tod war Alex sechs und mi’amá schwanger mit mir. Ich war elf, als ich herausfand, wer Papá erschossen hatte.
Allein der Gedanke an Hector Martinez kann mich völlig rasend machen. Ich hole tief Luft und folge Alex und Carlos an den Strand. Wir stehen in Gegenwart der übrigen Hochzeitsgesellschaft neben dem Priester und für einen Moment vergesse ich die Vergangenheit.
»Alex, hast du die arras ?«, fragt Carlos ihn.
Die arras sind dreizehn Goldmünzen, die Alex Brittany als Zeichen dafür überreichen wird, dass er seinen Glauben und sein Vertrauen in sie setzt. Sie sind von meinen Großeltern an meine Eltern weitergegeben worden, was gut ist, weil mein Bruder sich die Münzen sonst auf keinen Fall hätte leisten können. Alex und Brittany feiern keine traditionelle mexikanische Hochzeit, weil Brittany keine mexicana ist, aber sie haben ein paar mexikanische Riten in die Zeremonie eingeflochten.
Alex klopft auf seine Hosentasche. »Mist. Ich habe die arras im Zimmer liegen lassen.«
»Ich lauf und hol sie«, sage ich und sause zurück zum improvisierten Ankleidezimmer.
»Beeil dich!«, höre ich Alex und Carlos hinter mir herrufen.
Ich stoße die Tür des Ankleidezimmers auf und sehe, dass ich nicht
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