Du oder die grosse Liebe
für einen Verräter, seit er aus der Blood ausgestiegen ist. Woher rührt der plötzliche Sinneswandel, was einen Fuentes-Bruder betrifft? Wenn Alex für Chuy der Feind ist, warum um alles in der Welt sollte ich dann sicher vor seinem Zorn sein?
Es sei denn, er erwartet von mir, Alex’ Platz in der Gang einzunehmen.
»Ich dachte, du wärst im Gefängnis«, sage ich.
Er lächelt, die Zigarre hängt immer noch in seinem Mundwinkel. »Lass uns einfach sagen, ich bin aufgrund eines Formfehlers freigekommen.« Er beugt sich vor und spricht mit leiser Stimme weiter. »Hör zu, ich muss die Latino Blood wieder aufbauen und du wirst mir dabei helfen.«
»Wieso ich? Ich habe nichts damit zu tun.«
»Da irrst du dich gewaltig, Luis. Du wurdest als Blood geboren.« Er klopft mir auf den Rücken. »Und bis zu dem Tag, an dem du stirbst, wirst du einer bleiben.«
Wenn ich ein Tier wäre, wäre ich am liebsten … von Luis Fuente.
Normalerweise schreibe ich gerne Essays. Letztes Jahr habe ich in Englisch einen Aufsatz darüber geschrieben, wieso einige Aspekte der mexikanischen Kultur dermaßen vollständig in die amerikanische Gesellschaft integriert wurden. Natürlich habe ich dafür ein A bekommen. Mr Heilmann ist sogar gelungen, ihn in der regionalen Tageszeitung unterzubringen, was ziemlich cool war.
Aber jetzt ist mein Kopf wie leer gefegt, was mir selten passiert. Ich wette, die meisten Jungs aus meinem Kurs haben sich für den Löwen entschieden, den König des Dschungels. Ich bin nicht der König und bin es nie gewesen.
Der Gedanke an einen König führt weiter zu Chuy Soto.
Mein Stift schwebt über dem Papier. Ich frage mich, ob ich gestern Abend bloß betrunken war, oder ob Chuy wirklich gesagt hat, er erwarte von mir, dass ich ihm helfe, die Latino Blood wieder aufzubauen. Mein Blick fällt auf ein Bild von Alex, Brittany und Paco, das an der Wand hängt.
Mi’amá hat heute ihren freien Tag. Mir wird bewusst, dass sie nicht am Herd steht und kocht, wie ich angenommen hatte. Sie hat eine Zigarette zwischen den Fingern, während sie am Waschbecken lehnt.
»Ich hasse es, wenn du rauchst«, verkünde ich ihr.
»Es entspannt mich.« Sie nimmt einen langen Zug von der Zigarette und klopft die Asche am Waschbecken ab. »Mir ist gestern ein Job angeboten worden, als Empfangsdame. Es ist in dem Krankenhaus, in dem Elena arbeitet.«
»Das ist doch super.«
»Sie zahlen anständig und eine Krankenversicherung gehört auch dazu«, sagt sie, dann führt sie die Zigarette erneut an die Lippen.
»Alles okay, Ma? Du siehst aus, als würdest du jeden Moment aus den Latschen kippen.«
» Estoy bien.« Sie bläst Rauch aus. »Na ja, es ist nicht alles in Ordnung. Ich habe heute einen Anruf bekommen, dass Carlos verwundet wurde.«
Panik erfasst mich, während mir entsetzliche Bilder von Soldaten, die in Rollstühlen oder mit fehlenden Gliedmaßen nach Hause kommen, durch den Kopf schwirren. »Was ist passiert? Sag es mir, ohne lang drumrum zu reden.«
»Es ist nichts Ernstes, aber schlimm genug, dass er nach Hause kommen muss, um wieder gesund zu werden.«
»Was meinst du damit, es ist nichts Ernstes?«, frage ich. »Wenn er nach Hause kommt, muss es ganz schön übel sein.«
»Es ist sein Bein. Er musste operiert werden und konnte nicht zu seiner Einheit zurückkehren, daher beenden sie seinen Einsatz aus medizinischen Gründen. Er wird sich entscheiden müssen, ob er sich erneut verpflichten will. Ich möchte, dass er nach Hause kommt, aber …«
»Du hast gehört, dass Chuy Soto aus dem Gefängnis entlassen wurde.«
»Elena hat es gerade von Jorge erfahren.« Sie zeigt mit der Zigarette auf den Durchgang, in dem ich stehe. »Geh ihm bloß aus dem Weg. Ich will nicht, dass Carlos oder du etwas mit ihm oder der LB zu tun haben.«
Zu spät. Ich massiere den Knoten, der sich in meinem Nacken bildet. Wie spreche ich es am besten an? Ich zögere und meine Handflächen werden feucht. »Ma, bin ich ein Blood?«
»Wo hast du denn das gehört?«
»Chuy Soto hat etwas darüber zu mir gesagt, dass ich als Blood geboren sei, und na ja, ich habe nicht verstanden, was er damit meint.«
Sie zeigt mit einem zitternden Finger auf mich. »Hör nicht auf Chuy, Luis. Hast du mich verstanden? Halt dich einfach von ihm fern.«
»Er ist als Kopf der LB zurück. Er will sie wieder aufbauen.«
Ich weiß, ich habe eine verrückte, gefährliche Ader in mir – den Drang, mich in die Gefahr zu stürzen. Die meiste Zeit habe ich ihn
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