Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Sonnensäulen; durch das Blattgrün bohrten sie sich mit im Laufe des Tages sanft gewordenem Nachdruck auf den Rasen. Unter dem großen Lövenichschen Sonnenschirm standen diese paradiesisch bequem aussehenden Kippliegen, und wir heiligen Männer durften uns sofort darauflegen und nicht mehr rühren; Speisen und Getränke würden unverzüglich aufgetragen und wir könnten derweil ja ein paar theologische Fragen erörtern.
    Mendelssohn nahm diese Aufforderung todernst und fragte uns tatsächlich, was wir von einem neuen Schisma halten würden: Ob das der heutigen Kirche aus der selbst geschaufelten Grube heraushelfen könne oder nicht!?
    Bevor wir uns zu dieser Frage äußern mussten, flog der Rest der Lövenichs ein: der Knabe Ritchie grüßte artig und baute zwei große Krüge voll bunter Flüssigkeit vor uns auf, eine grüne und eine pinkfarbene. Laura brachte ein Tablett voller Gläser mit und Marvie das reizendste Lächeln der Welt sowie eine Platte voller Häppchen und ein so beiläufig
tief geschwungenes Dekolleté, dass mir beinahe verräterischer Sabber in die Mundwinkel getreten wäre. Ich warf Cromwell einen raschen Seitenblick zu: Mein Cromwell hatte die Hände in falscher Andacht über dem Ornat gefaltet und sah dabei abwechselnd von der Schnittchenplatte zum Ausschnitt und zurück. Dann sah er mich an, grinste dreckig und sagte leise: »Ich erhöhe auf Hundertfünfzig!« Und laut: »Aber IHR müsst euch auch noch verkleiden! Wir wollen doch alle stilvoll dieses Pfingstfest begehen!« Die Mädchen gaben kleinlaut zu, überhaupt nicht zu wissen, was es mit dem Pfingstfest denn auf sich habe. Weihnachten und Ostern seien ihnen geläufig, von Geburt und Auferstehung hätten sie gehört, aber Pfingsten? Mendelssohn wurde stante pede schulmeisterlich: Zu Pfingsten sei der heilige Geist über die Jünger und die Apostel gekommen, und diese hätten plötzlich in allen Sprachen der Welt kommunizieren können. Und im Besitz dieser beneidenswerten Fähigkeit hätten sie dann alle möglichen Völker der Welt heimgesucht, um ihnen (in ihrer jeweiligen Muttersprache) die Mär vom Erlöser aufzuschwatzen. Und sie zu einer sofortigen Taufe ihrer heidnischen Person aufzufordern. Der Erfolg dieser großen linguistischen Klinkenputzerei: Tausende wurden in Null komma nix durch diese Haustürgeschäfte zu zahlenden Mitgliedern der Kirche, und deswegen gelte das erste Pfingsten als offizieller Gründungstag der apostolica ecclesia.
    »Nicht zu vergessen«, sagte ich, »Pfingsten ist ähnlich dem jüdischen Festtag Pessach. Und zwar wegen der Offenbarung
der Tora an das Volk Israel.« Zu dieser Klugscheißerei versuchte ich ein Gesicht aufzusetzen, das mich als eine Art »sympathischer Gelehrter« ausweisen sollte. Und während ich mich darum bemühte, etwas Wissendes, Durchgeistigtes wie aber auch auf herzliche Art Handfestes, positiv Irdisches auszustrahlen, beugte ich meinen Oberkörper aus dem Sessel heraus meiner Marvie entgegen und nahm mit professoralem Blick einen tiefen Zug aus ihrem Dekolleté. Ich musste gar nicht hinsehen, um zu wissen, dass Cromwell heftig darüber nachdachte, wie ich am besten aus dem Rennen zu werfen sei.
    »Heiliger Geist – das ist ein schwieriges Motto für ein Kostümfest«, sagte Katharina. Die Mädchen zogen sich ins Haus zurück. Ritchie blieb bei uns mit der Begründung, er sei ja nach damaligen Maßstäben nur ein Sklave, ein Unfreier, den sich die Mädchen als Mundschenk hielten. Und wir mögen unbedingt von seinen Limonaden kosten.
    An dieser Stelle kam Leben in Ritchie; nachgerade inbrünstig pries er uns seine Kreationen an: Die pinkfarbene sei mit Mango und Himbeer, die grüne mit – logisch! – Waldmeister, und diese habe er auf den Namen »Frosch-Pipi« getauft. Dazu kicherte er, offenbar entzückt von dieser Namensgebung.
    Mir kam der Gedanke, ich könnte mich in Ritchies Alter sehr vertan haben; er schien mir eigentlich nicht wie ein Zwanzigjähriger, sondern eher wie einer von uns, also etwa dreizehn. Und auf dieser Ebene entwickelte sich auch
sofort ein entspanntes Gespräch über Bowle, Balsa-Holz und die Pflichten eines Messdieners.
    Als die Mädchen nach einer halben Stunde auf dem oberen Treppenabsatz zum Garten erschienen, übertupft von dem letzten rotgoldenen Sonnenschimmer und seitwärts illuminiert von der kugelrunden Gartenlaterne, wurde meine bisher so gut vertuschte Sabberei heftiger. Die drei hatten sich als Römerinnen oder Griechinnen, jedenfalls als