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Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Titel: Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Mendelssohn sagte: »Und nachhelfen – das ginge eindeutig zu weit! Eine Unterlassung könnte mein Gewissen gerade noch verkraften. Aber mehr auch nicht!«
    Mein Herz begann nun derart zu rasen, als hätte ich mir Nescafé intravenös geballert. Unruhe und Ungeduld ließen meine Knie zittern. Ich wollte diese peinliche Situation jetzt un-ver-züglich beenden; der verdammte Wurstmann war sogar noch als Halbtoter ein Ärgernis! Ich wollte unver-züglich eine Bereinigung der Lage, um mich endlich dem widmen zu können, was mir in Wirklichkeit und immer dräuender auf den Nägeln beziehungsweise weiter unten brannte: Der Wurstmann sollte verschwunden sein und ich endlich in die Arme und Beine meiner Marvie einfahren! Basta! Ob in dem Dingsbums auch ein Aphrodisiakum enthalten war? Nein, dieser Mendelssohn!
Hatte doch tatsächlich Aphrodisiaka mit überschrittener Halbwertzeit auf Lager! Und ungeduldig begann ich, mit Mendelssohn zu zanken: »Wie kann man nur so entsetzliche Skrupel haben? Du vergisst wohl völlig, um wen es sich hier handelt? Um ein Stinktier! Ein Stinktier in Menschengestalt! Ein Aas von einem Psychopathen! Ich wette, der hat in seinem ganzen Leben nicht EINE gute Sache gemacht! Allein diese irren Aggressionen! Gegen jedermann! Und dann: Denk doch nur mal an seine schlechten Stücke! DU als Germanist solltest da sogar den ersten Stein werfen!«
    »Talentlosigkeit ist doch kein Grund, jemanden sterben zu lassen!«
    »Sollte es aber!«
    »Du spinnst doch! Und außerdem: Was glaubst du denn, was passiert, wenn er jetzt hier in der Blüte seiner Jahre sein Leben aushaucht? HEILIG gesprochen wird er! Alle seine Stücke werden noch mal aufgelegt! Er wird zur Kultfigur!«
    Da war was dran. Die meisten Künstler können doch eh erst von ihrer Arbeit leben, wenn sie tot sind. Und ein toter Wurstmann würde durch alle Feuilletons gezogen! Von Aspekte bis FAZ: Jeder – sogar sein bester Feind – würde ihm zum Abschied anstandshalber noch ein Gebinde aufs Grab kacken! Diese Wurstmänner schwommen doch immer oben! Oh, wie ungerecht war diese Welt! Und wie verkommen der Kulturbetrieb! Unsereins bekam noch nicht mal ein lausiges Stipendium, aber der toten Wurst würden sie Kränze winden! Und in meiner Rage war ich
drauf und dran, zurück ins Sterbezimmer zu eilen und der Wurst ein Kissen aufs Gesicht zu drücken. Cromwell kam aus dem Bad zurück und unterbrach unseren kulturpolitischen Diskurs: »Ich hab mir beim Übergeben Folgendes überlegt: Jemand sollte noch mal reingehen und nachsehen, wie es ihm geht. Wenn er noch lebt, rufen wir einen Arzt. Und falls er wieder gesund wird und Anzeige erstattet, dann ziehen wir die Nummer mit der Notwehr durch. Dass ER angefangen hat. Hat er ja auch. Und wir alle sind Zeugen. Und dann steht sein schlechter Ruf gegen unsere Aussagen. Das wird zwar lästig und ärgerlich, aber wenigstens haben wir ihn dann nicht auf dem Gewissen. Wie klingt das?«
    Die Lövenichs schauten einander an, erst verunsichert, dann zaghaft zustimmend. »Okay. Ich gehe rein«, sagte Katharina.
    Um uns allen die Wartezeit etwas zu versüßen, sagte ich: »Ist euch schon mal aufgefallen, dass es in Ärzte- und Actionfilmen zwei sehr hübsche Stereotype gibt? Der eine lautet ›Ich geh da jetzt rein!‹, und der andere ›Ich bin drin!‹ Ist das nicht ulkig?« Niemand lachte. Katharina trat wieder auf den Flur.
    »Und?«
    »Er ist – hinüber.«
    »Wie jetzt! Richtig hinüber?«
    »Naja – fast. Beinahe. Ich glaub, gleich ist er weg. Kann sich nur noch um Minuten handeln.«
    Cromwell stöhnte herzzerreißend: »Auch gut. Dann rufen wir jetzt schon mal den Arzt und sagen ihm, dass wir
ihn eben erst gefunden hätten. Wer ist dafür?« Außer Mendelssohn hob niemand die Hand.
    »Nein, warten wir lieber, bis er richtig tot ist.«
    »Die paar Minuten schaffen wir auch noch!«
    »Sicher ist sicher!«
    »Wenn er doch gerade am Sterben ist, wäre es unklug, den Notarzt zu voreilig zu rufen.«
    Die noch vor kurzem verzagte Katharina bekam wieder Oberwasser: »Ich bin dafür, dass wir das doch so machen, wie ich gesagt habe. Wir lassen sich die Sache hier oben erledigen und gehen runter, wegen der Alibis und so. Und wenn die Party vorbei ist, sehen wir weiter! Also bitte!«
    Murmelnd setzten sich die Lövenichs in Bewegung. Ritchie nahm auf seinem Posten Platz, Marvie ging auf ihr Zimmer, ich wollte ihr folgen, aber Laura schnappte nach mir und schob mich und Mendelssohn zur Treppe. Katharina drehte sich

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