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Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Titel: Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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egal, wer ihn und wie er – wie erklären wir einem Notarzt, dass die Wurst erst in Ruhe ausgeblutet ist, bevor wir ihn gerufen haben?«
    »Er war alleine im Zimmer! Und wir haben ihn erst später gefunden!«
    Cromwell raufte sich die Haare: »Aber praktischerweise hat er vorher rumgestänkert! Erst hat er für alle hörbar Herrn Lövenich angemacht und ist dann mit ihm nach oben gegangen. DAFÜR gibt es Zeugen. Und zwar gleich einen Arsch voll.« Herr Lövenich setzte sich stöhnend auf ein Sofa, das so klein war, dass er dem Sofa die Luft nahm. Erst jetzt sah ich mir unser Ambiente etwas näher an. Das Zimmerchen war eine Mischung aus Abstellraum, Wäschekammer
und Boudoir, praktisch und gemütlich zugleich. Ein paar überquellende Regale, zwei niedliche Sofas, und auf einer schweren Truhe ein Campingfernseher. Vor der schweren Truhe lag der auslaufende Autor, und mein trotz Reisekrankheit funktionierender Spürsinn sagte mir, dass er eventuell tatsächlich im freien Fall mit seiner dummen Rübe eine Kante der Truhe erwischt hatte, denn die Kanten dieser Truhe ragten klobig in die Welt hinein – ich schätzte das antike Stück auf frühes Neo-Windsor, wahlweise Gründerzeit, mit einem Schuss Gelsenkirchen. Dann fasste ich mir an den Kaffeekopf und ließ mich neben meinen ausladenden Schwiegerpaps auf das Minisofa fallen. Immerhin hatte der große Lövenich – trotz eines Hauses voller Gäste und einer auf dem Teppich suppenden Beinahe-Leiche – die Größe, mich nach meinem Befinden zu fragen: »Ist Ihnen immer noch schlecht, Schlomo?«, fragte er durchaus besorgt. »Ist nur ein Streifschuss«, sagte ich und kicherte beziehungsweise meckerte verhalten. Zu meinem Erstaunen kicherte Herr Lövenich mit, und seine blauen Eisaugen schillerten wie angetaut. Offenbar hatte er doch ein Herz, der alte Seebär beziehungsweise Knastbruder. Allmählich fasste ich Zutrauen. Weshalb er wohl saß? Bestimmt nicht wegen eines Gewaltverbrechens. Sonst würde er doch souverän die Situation meistern und uns den einen oder anderen Tipp geben können. Aber sogar er schien mit einem etwaigen Totschlag überfordert.
    Cromwell begann die Geduld zu verlieren: »Wir müssen uns jetzt unbedingt für etwas entscheiden! Wir stehen schon mit einem Bein in der unterlassenen Hilfeleistung!
Und wenn wir noch länger warten, dann wird daraus ein Mord oder was weiß ich!«
    »Ja sicher«, brummte ich verschwörerisch meinen Paps an, »dass das hier ein Scheckbetrug ist, das nimmt uns doch niemand ab.« Dann fiel mir auf, dass sowohl Cromwell wie auch ich von »wir« sprachen; die Familie hatte uns nun also ohne Wenn und Aber eingemeindet, wir gehörten dazu; so selbstverständlich und warm hatten sie uns in ihren Kreis aufgenommen, dass mir Tränen dankbarer Rührung kamen. Dagegen hatte meine Marvie das Weinen eingestellt und klemmte sich nun zu meiner großen Freude auch noch auf unser Minisofa, zwischen Paps und mich. Paps hielt ihre linke Hand, ich nahm ihre rechte und führte diese an mein rumpelnd′ Herz. Marvie ließ es geschehen. Hoffentlich blieb mir diese Situation noch recht lange erhalten; wer weiß, was sich daraus noch entwickeln ließ.
    Cromwell und Katharina knieten sich neben den immer leiser stöhnenden Wurstmann und prüften seine Vitalfunktionen. Ritchie verzog sich in eine Ecke, Laura beschrieb Mendelssohn mit gedämpfter Stimme die Lage. Cromwell richtete sich auf: »Wir MÜSSEN jetzt was unternehmen! Irgendwas! Sagt was, Leute!« In diesem Moment bewegte der Wurstmann das Haupt; sein Blick tanzte nicht mehr unstet, sondern heftete sich fest an Cromwell. Er schien besorgniserregend klar, was um so grausiger wirkte, da es weiterhin aus seinem Bregen tropfte. Mit stierem Blick auf Cromwell formte sein Mund Laute. Erst kam viel heisere Luft, dann verwaschen das Wort »Hilfe«. Beinahe bekam ich Mitleid. Der Wurstmann hielt weiterhin
auf Cromwell, wieder kam viel heiße Luft und dann klar und deutlich: »Polizei!«
     
    S o nicht, Freundchen! Erst sich ungebeten auf Partys einschleichen, Leute beleidigen und dann auch noch um Hilfe betteln! Man kann doch nicht ernsthaft ehrenwerte Bürger mit »schmutzigen Familiengeheimnissen« provozieren und sich dann wundern, dass man mit Loch im Kopf in ihrem Boudoir landet! Überhaupt: Was waren das denn für schmutzige Familiengeheimnisse, die meine Lövenichs in Verruf bringen sollten? Emotional ging es in mir mächtig rund: Das auf- und wieder abschwellende Mitleid mit dem Dicken,

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