Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie
so spitzfindig an, dass ich wusste: Hier würde ich fündig.
Sie müsste nur mal tief Luft holen, und schon wäre ich im Besitz aller lövenichschen Geheimnisse, von Kopf bis Fuß, von Konto bis Unterhose würde alles vor mir liegen, ausgebreitet von der Natter Alexa, deren Juwelen in meine Arme und Beine schnitten und deren erlesene Coiffure in meinen Kragen kräuselte. Alexa hub an, doch da packte mich Cromwell und zog mich am angekräuselten Kragen in Richtung Garten. Gerade noch konnte ich Alexa zuhauchen: »Warte hier auf mich!«, dann stieß mich mein sorgenlastiger Freund durch den Regen in einen der kleinen Pavillons und rief: »Verdammt! Mir ist eben erst aufgegangen, worauf wir uns hier einlassen! Weißt du, was das ist? Weißt du, wie man das nennt? Das nennt man Beihilfe und Mitwisserschaft, und jetzt stecken wir da mit drin, wie verdammte Fliegen im Sirup, so stecken wir da jetzt mit drin!«
Je nun. Ja, sicher. Aber wo genau lag das Problem?
»Wo genau liegt das Problem?«
»Das Problem? Wir sind jetzt auf Gedeih und Verderb mit ein paar Leuten verbandelt, die wir noch nicht mal näher kennen! Was wissen wir denn schon von den Lövenichs? Gar nichts wissen wir? Wir wissen gerade mal, dass die hier wohnen! Wer sagt mir denn, dass das keine Psychopathen sind? Die uns jetzt in der Hand haben? Und was passiert, wenn einer singt? Und wenn alles auffliegt? Ich will nicht in den Knast! Ich liebe meine Freiheit!«
»Du kommst nicht ins Gefängnis! Warum denn? Du hast doch nichts getan!«
»Eben drum! Es gibt Leute, die kommen völlig zu Recht
ins Gefängnis, weil sie eben nichts getan haben, wo sie was hätten tun sollen!«
»Du bist paranoid. Denk doch mal nach! Was kriegt man denn maximal als lumpiger Mitwisser, der da zufällig in so eine Geschichte reingeschliddert ist? Maximal Bewährung, sag ich dir! Maximal! Aber noch nicht mal so weit wird′s kommen!«
Cromwell atmete nicht mehr so schnell und ich legte nach, erzählte etwas von Rechtsstaat, Sozialprognose und Prozesskostenhilfe, und allmählich flaute Cromwells Hysterie ab: »Jaja, wahrscheinlich hast du recht. Aber das stand plötzlich so plastisch vor mir. Diese – Verstrickung. Diese – Konsequenzen. Und die Tatsache, dass wir wirklich nichts über die Lövenichs wissen. Eigentlich sollte man die Leute genau kennen, mit denen man solche Geheimnisse hat, oder?«
Da hatte er recht. Also teilte ich ihm rasch mit, dass Alexa gerade am Warmlaufen sei, sie führe gerade ihren Tratschcomputer hoch, und Cromwell müsse mir nur eine halbe Stunde mit ihr geben, dann wären wir in Sachen Lövenich garantiert upgegradet.
»Okay. Du hältst da die Ohren offen, und ich bespreche mit Mendelssohn, wie wir weiter verfahren sollen.«
»Und du glaubst mir bitte: Uns wird nichts passieren!«
»Gebe Gott.«
Wir rannten zurück durch den Regen. Meine Informantin saß wie befohlen abwartend auf ihrem Plaudersitz und hielt ungeduldig nach mir Ausschau. Fernab tuschelten Cromwell und Mendelssohn. Laura zupfte Cromwell
am Ärmel und deutete diskret auf Wurstmanns neue Liebschaft, die offensichtlich auf der Suche nach ihm durch den Raum fädelte. Cromwell nickte und machte sich auf den Weg. Cromwell ist ein guter Lügner. Wenn es um Unwahrheiten geht, ist er enorm gewissenhaft. In etwa fünf Minuten dürfte die Kleine darüber im Bilde sein, dass ihr Neuer just in diesem Moment nicht nur wohlauf und am Leben, sondern sexuell aktiv mit seiner Ex zugange war. Die Kleine tat mir ein bisschen leid, aber das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert. »Schlomo! Hi-ier!« Ich ließ mich in die ungeduldige Alexa plumpsen, und sie nahm unser Gespräch punktgenau da wieder auf, wo Cromwell mich herausgerissen hatte: »Mit der Unschuld, Schlomo, ist das so eine Sache. Wir alle lieben die Unschuld, und du liebst die Unschuld ganz besonders, das sehe ich dir doch an. Aber es gibt doch immer etwas HINTER der Unschuld. Das musst du bedenken. Nur weil jemand sagt: Nicht schuldig, Euer Ehren! muss er nicht auch gleich unschuldig sein, nicht wahr! Denk nur mal dran, mit welch einer Inbrunst dieser entsetzliche Rudolf Heß immer wieder sagte: ›Nicht schuldig!‹ Alle diese Verbrecher – mit Inbrunst: ›Nicht schuldig!‹ Um einen erneuten Abrutscher ins Historische zu verhindern, flüsterte ich: »Aber Marvie – wie soll ich sagen…«
Alexa lachte bitter: »Wie soll ICH sagen … ich will dir doch nicht etwas einreden oder dich enttäuschen. Und Marvie ist immerhin mein
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