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Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Titel: Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Korinthenkacker! Siehe: Die Erde dreht sich so oder so weiter, egal, wie viele schlechte Dichter in einer Wäschekammer röcheln und egal, wie viele Blutsverwandte sich ineinanderstecken – es ist ein einziger Auf- und Abbau von entseelten Molekülen, und alles, was aus diesem molekularen Hin und Her entsteht, ist nichts anderes als entseelte ENERGIE! Nur unser kleinliches
Hausmachergemüt macht aus dieser Energie einen Schmus von Liebe, Gewissen und Candlelight-Dinner, nein, meine lieben Freunde: Irgendwas entsteht, und nach einer Weile verpufft dieses Irgendwas, aber es gibt keinen Grund, mit zerquälten Gesichtszügen stundenlang auf einer harten Pritsche diesem Irgendwas hinterherzugrübeln! Packen wir es an! Verpfeifen wir unser Selbst in energetischen Schüben, rammen wir uns Champagner in den Leib, lasst uns rammeln und töten, und lösen wir uns selber auf, bevor es ein anderer tut!
    Ungeduldig betrachtete ich den moralischen Mendelssohn und wusste, was jetzt käme: Buhuhu, da liegt ein Mensch, der haucht sein Leben aus, während wir … jajaja, in der Grundschule hatten wir einen Spruch: »Hier ist ein Mensch, der muss auf Klo, gebt ihm Papier, dann ist er froh!« War damit nicht alles gesagt? Oder jedenfalls fast alles?
    Mendelssohn: »So geht das nicht. Nehmen wir mal an, der Dicke liegt wirklich im Sterben. Müssten wir ihm da nicht so etwas wie Beistand leisten? Arschloch hin oder her – niemand hat es verdient, so alleine und erbärmlich abzudanken. Würdest DU so sterben wollen?«
    Okay, das war ein Gedanke. Natürlich würde ich nicht gerne mutterseelenallein in einem Kämmerchen vergehen, während aus dem unteren Stockwerk heiteres Partygeraune zu mir dringt, und mein letzter Blick in diese Welt wäre die Unteransicht einer rustikalen Truhe mit Camping-TV. Nein, da hatte Mendelssohn durchaus recht. So etwas hatte noch nicht mal dieser Molekülhaufen da oben
verdient. Ich merkte, wie meine polytoxe Umnachtung abflaute und sich so ein überflüssiger Rotz wie Mitleid und Anstand Bahn brach. Wie würde ich denn gerne sterben wollen? Natürlich hätte ich gerne meine Lieben dabei, damit der Übergang so vonstatten ging, als säße ich in einem Zug, der sanft anfährt; und wir heben grüßend die Hände und lächeln uns liebevoll an, bis wir uns schließlich aus dem Blick verlieren… »Aber wir können doch jetzt nicht einfach nach oben gehen und den Typen lieb anlächeln! Vielleicht will er uns gar nicht sehen! Es könnte ja sogar sein, dass er sauer auf uns ist!«
    »Lass uns hochgehen. Trotz allem.«

Kapitel 12
    beschreibt den Versuch einer Letzten Ölung und
eine gewisse Planlosigkeit angesichts der Letzten Dinge.

    R itchie saß wie ein Museumswärter vor dem Sterbezimmer und wirkte immer noch verstört und unschlüssig. Er ließ uns hinein und schloss leise die Tür. Dann hörten wir, wie er ein paar durstig über den Flur geisternde Schauspielschüler in die Küche schickte. Komisch, der ruhige Ritchie sah gar nicht aus wie jemand, der regelmäßig in ein sündiges Treiben der Extraklasse verstrickt war.
    Der Wurstmann lag in seiner alten Position, die Augen geschlossen. Ich kniete mich auf den Boden, hievte mich in einen Spagat über die Blutlache und wusste nicht, wie ich ihn ansprechen sollte: Hallo? Kuckuck? Was geht, Digga? Vorsichtig piekte ich ihm in die Schulter. Keine Reaktion.
    »Isser tot?«, flüsterte Mendelssohn.
    »Keine Ahnung. He! Hallo! Hörst du mich?«
    Keine Reaktion. Er war von erstaunlicher Blässe. Und
obwohl synchron zu seinen Wutanfällen schon Hektoliter an Spirituosen durch seine Wangenäderchen und über seine Nase gelaufen sein mussten, wirkte seine Gesichtshaut profund fahl, zutiefst käsig; kurz: Er sah aus wie ein schlafender Veganer. Im Film legt man in solchen Fällen zwei Finger an den Hals, sieht hoch und sagt ernst: »Da ist nichts mehr zu machen.« Oder: »Wir verlieren ihn.« Ich legte zwei Finger an seinen Hals, drückte hie und da, tastete nach der Carotis, aber unter dem Halsleder rührte sich gar nichts. »Ich glaube, jetzt ist er weg. Richtig tot.«
    Schweigen.
    »Wie sieht er aus?«
    »Naja, ich würde mal sagen: wie ein alter Gouda.«
    »Nein, ich meine seinen Ausdruck! Gequält oder ruhig oder was!«
    »Hm. Irgendwie: nichtssagend. Wie einer, der auf einen Bus wartet. Aber mit geschlossenen Augen.«
    »Hast du ihm die Augen … ?«
    »Nee, das muss er selbst gewesen sein. Ich könnte so was nicht. Aber ich bin froh, dass er uns nicht anguckt.

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