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Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Titel: Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Rätsel zu lösen? Wenigstens ein bisschen?« Und ich berechnendes Dreckschwein schenkte ihr das Glas wieder voll und sah so erbärmlich drein, als hätte mich ein Filialleiter in seiner Biotonne erwischt. Dann hörte ich mich tatsächlich sagen: »Man sieht es mir zwar nicht an, aber ich bin kein gesunder Mann. Ich habe
diverse … aber das würde jetzt zu weit führen … nur so viel: Ich bin nicht mehr der Robusteste.«
    Alexa ergriff meine Hände und knetete sie wie einen Hefezopf: »Du Ärmster! So was habe ich mir schon gedacht! Von Anfang an! Du wirkst wirklich – angegriffen, Scholem!«
    »Schlomo.«
    »Ja. Kann ich irgendwas für dich tun?«
    »Du könntest mich – ins Benehmen setzen. Was muss ich über Marvie wissen? Und über die Familie?« Alexa sah sich konspirativ um, und dann pladderte es – leise, aber heftig – los:
    »Innig! Ich sage nur: SEHR innig! ZU innig! Dazu muss man sagen, dass zwar niemand zu Schaden kommt, nicht wahr! Aber trotzdem: rein bürgerlich betrachtet – ein Skandal. Stell dir vor: Da wird gezankt und gealbert, und dann siehst du meinetwegen Laura und Ritchie. Und das ist nicht nur so ein Zanken und Albern! Das ist viel, viel mehr! Das ist sehr, sehr innig! Ich dachte, ich falle tot um, als ich das zum ersten Mal gesehen habe! Verstehst du, was ich meine, Schmul?«
    »Schlomo.«
    »Ja, genau.«
    »Ich ahne, was du meinen KÖNNTEST. Aber GLAUBEN tu ich dir das nicht! Du willst mich doch jetzt hochnehmen, oder!«
    »Schlomo, welchen Grund hätte ich? Guck mal, du bist ein guter Kerl, das sehe ich doch. Du bist ein guter Kerl mit einem großen Herzen! So etwas merke ich sofort! Weil ich
auch ein gutes Herz habe! Aber unser Herz macht uns so – verletzbar, nicht wahr! Und deswegen solltest du wissen: Diese Familie ist nun mal nicht wie andere! Und Laura und Ritchie … ich weiß nicht, ob sie immer noch … eigentlich geht es mich auch gar nichts an, aber eben nicht nur Laura und Ritchie, verstehst du?«
    Mein großes, gutes Herz rumpelte unter einem erneuten Koffeinstoß los, als ließe jemand einen Sack Kartoffeln in meinen Brustkorb purzeln. Ich griff mir erschrocken an die Pumpe, was Alexa gründlich missverstand: »Nein, du darfst Marvie jetzt nicht verurteilen! Sie trägt keine Schuld daran! Sie kennt es ja nicht anders! Für sie ist das alles ganz – natürlich!« Auf meinem inneren Monitor baute sich folgendes Bild auf: der ganze inzestuöse Familienkörper Lövenich, nackig gemacht, ineinander verschlungen, verteilt über sämtliche Sofas des Hauses; ein orgiastisches Gestöhne und Gelutsche und Geschiebe, durch alle Räume, die Fenster beschlagen, der Haussegen umnebelt von sexuellem Schweiß und dem Kondenswasser der Wollust, und dann klack-klack-klack die zahlreichen Zigaretten danach angezündet… und diese Vision stieß mich noch nicht mal ab, sondern war im Gegenteil Wasser auf meine aphrodisierte Mühle, aber das konnte ich Alexa gegenüber ja kaum zugeben, Herrgott, welches Gesicht setzt man denn am besten auf, wenn einem gerade vollblütig-sündige, blutschänderische Gelage gepetzt werden … »Weiß Paps davon?«
    »Schlomo! Du bist wirklich ein Herzchen! Natürlich weiß er davon! Er hat ja damit angefangen!«

    Haltstopp! Irgendwie ging hier irgendwas zu weit!
    Eine Hand griff in meinen Nacken, fuhr mir über die gesträubten Haare und blieb auf der Schulter liegen, ein Stöckchen tippte mehrmals an meinen Arm: Mendelssohn. Warum störten mich meine Freunde immer zielgenau in den saftigsten Momenten meiner Konversationen! Da führt man einmal im Jahrzehnt eine feuchte Unterhaltung, und immer wenn es gerade in die Vollen geht, taucht einer dieser Brüder auf und will wahrscheinlich sein Gewissen erleichtern! Verärgert ruckelte ich am Blindenstab: »Was gibt′s denn schon wieder!«
    »Entschuldige!«, sagte Mendelssohn beleidigt. »Ich hab nicht gesehen, dass ich störe!« Alexa ließ sich, erschöpft vom heiklen Verrat, ins Polster zurücksinken. Ich entschuldigte mich meinerseits bei Mendelssohn für meine geblaffte Reaktion und wiederholte zivil: »Was gibt es denn?«
    »Wir müssen reden«, sagte er erwartungsgemäß, und zum zweiten Mal fand ich mich in einem Gartenpavillon zur Erörterung ethischer Fragen wieder. Allmählich gingen mir all diese moralischen Bedenkenträger auf die Nerven. Himmelherrgottsakra! Ethik, Moral, Benimm – was für ein relativer Tand! Waren unsere Maßeinheiten nicht viel zu eng und provinziell? Wir

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