Du sollst nicht hassen
stürmten vom Spiel in der Brandung mit den Wellen zu einem Boot, das dort festgemacht war, vom Burgenbauen im Sand rannten sie zurück ins Wasser, die Kamera klickte, um die ausgelassene Freude festzuhalten, das Lachen ihrer Gesichter, die Verbindung, die sie untereinander hatten, die gemeinsame Realität. Und ich dachte: »Lass sie spielen, lass sie ihrem Kummer entkommen.«
Während sie noch in den Dünen herumtollten, fuhr ich zurück ins Camp von Jabaliya, um die Kebabs zu holen. Am Morgen war die Schlange beim Fleischer so lang gewesen, dass ich mich entschieden hatte, erst zum Strand zu gehen und, wenn die Kinder erst mal dort wären, für das Fleisch noch einmal zurückzukehren.
Während ich fuhr, dachte ich an Nadia und die Veränderungen in unserem Leben, seit sie gestorben war. Zunächst hatte ich geglaubt, ich müsste die Forschungsarbeit aufgeben, mit der ich gerade beschäftigt war, denn sie erforderte, dass ich von Montag bis Donnerstag in Tel Aviv war. Aber die Kinder bestanden darauf, dass ich weitermachte. Sie sagten: »Wir kümmern uns zu Hause um alles, mach dir keine Sorgen.« So hatte Nadia sie erzogen. Sie war das Vorbild, dem sie folgten. Nadia bewältigte das Haus, die Kinder, die gesamte Verwandtschaft, einfach alles, während ich fort war, um zu studieren, zu arbeiten, zu versuchen, uns allen ein besseres Leben zu verschaffen. Manchmal war ich drei Monate lang nicht zu Hause. Als ich von 2003 bis 2004 in Harvard studierte, war ich ein Jahr lang weg. Aber wie sollten die Kinder ohne eine Mutter klarkommen, wenn ihr Vater die Hälfte der Zeit fort war, selbst wenn sie mir alle sagten, ich müsste weitermachen? Aus diesem Grund war ich so glücklich, als sie einverstanden waren, nach Toronto umzuziehen: Wir könnten alle zusammen sein, ohne jeden Tag eine Grenze passieren zu müssen.
Und solange wir in Kanada waren, würde dieser Platz hier auf uns warten. Es liegt ein Hauch von Ewigkeit auf Oliven-, Feigen- und Aprikosenbäumen, auf dem Stück Land nahe am Strand, wo der Himmel Sand und See begegnet und Kinderlachen im Wind verweht.
Das Klingeln meines Handys riss mich aus meinen Träumereien. Es war Bessan, die mich aufzog: »Wo bleibt mein Vater mit den Kebabs? Unsere Mägen rebellieren. Wir brauchen etwas zu essen!« Ich sagte ihr, ich sei auf dem Weg und sie sollten zum Olivenhain zurückkehren und den Grill anwerfen.
Später taten wir uns an den Kebabs gütlich, erzählten noch mehr Geschichten und kehrten dann für einen letzten Spaziergang an den Strand zurück, ehe die untergehende Sonne uns nach Hause schickte.
Der Gazastreifen war die Kulisse, vor der meine Kinder ihr ganzes Leben gelebt hatten, auch wenn ich mein Bestes getan habe, dass sie mit weniger traumatischen Erfahrungen aufwachsen mussten als ich. Ich erinnere mich genau, wie dankbar ich an diesem Tag für die Chance war, sie dort für eine Weile herauszubekommen, sie mit mir herauszufliegen, ehe noch mehr Ärger unseren Weg kreuzen würde.
Meine Töchter hatten mich ihr ganzes Leben lang über die Koexistenz sprechen gehört. Und drei von ihnen – Bessan, Dalal und Shatha – hatten am Creativity for Peace Camp in Santa Fe teilgenommen, das von israelischen und palästinensischen Veranstaltern organisiert wurde. Ich wollte, dass meine Töchter israelische Mädchen kennenlernten und ihre Zeit mit ihnen in einer neutralen Umgebung verbrachten, damit sie entdecken konnten, mit welchen Banden unser beider Wunden geheilt und verbunden werden konnten. Die Unterlagen zu bekommen, damit die Mädchen Gaza in die Vereinigten Staaten verlassen durften, war eine schwierige Aufgabe, da die Bewohner von Gaza den Streifen nicht ohne Erlaubnis verlassen dürfen. Dennoch wollte ich unbedingt, dass meine Kinder diese Erfahrung machten: dass Menschen zusammen leben, zusammen arbeiten und Frieden miteinander schließen können. Bessan nahm zweimal an diesem Camp teil. Dalal und Shatha besuchten es jeweils einmal.
Bessan war die einzige meiner Kinder, die Israelis kennengelernt hatte, ehe sie in ein Peace Camp fuhr. 2005 war sie Teil einer kleinen Gruppe von fünf jungen Frauen beider Konfliktparteien gewesen, die durch Amerika reisten. Ihre Unterhaltungen und Unternehmungen auf dieser Reise wurden für einen Dokumentarfilm aufgenommen, der den Titel »Dear Mr. President« trug. Die Mädchen hofften, sie könnten für ihre Arbeit die Unterstützung von Präsident George W. Bush erhalten.
Einige von Bessans Kommentaren im Film
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