Du sollst nicht hassen
wieder. Wenn ich meine Hausaufgaben im Licht der Petroleumlampe machen musste und dabei auf dem Betonboden saß und hoffte, es würde nicht regnen, damit meine Papiere nicht nass würden. Meine Klagen stießen bei ihr auf taube Ohren, und sie schalt mich, wenn ich nicht der Klassenbeste war. Mit ihren anderen Kindern war sie ebenso streng; die meisten Eltern waren so. Die Härte ihres Lebens schlug sich auf den Umgang mit den Kindern nieder. Ich erinnere mich, dass ich weinte, als einmal jemand eine bessere Note in Mathe hatte als ich. Ich frage mich heute, worum es bei diesen Tränen eigentlich ging. War es die Angst, nie aus dieser elenden Armut herauszukommen, wenn ich nicht der Beste war? War das Glänzen mit schulischen Leistungen mein einziger Stolz, die einzige Würde, die ich zu bieten hatte? Oder war es einfach mein Ehrgeiz? Aber wenn ich zurückschaue und an meine Mutter denke, sehe ich auch die Frau, die forderte, dass ich trotz aller Hindernisse auf meinem Weg erfolgreich wäre, und ich höre die Lehrer, die mir sagten, ich solle meine Tränen trocknen. Und ich denke an Ahmed Al Halaby, den Lehrer aus der ersten Klasse, der mir das Gefühl gegeben hatte, alles sei möglich. Von beiden – meiner Mutter und von diesem Lehrer – lernte ich, dass ich auf dem richtigen Weg war, und ich achte und ehre ihr Andenken.
Von den neun Kindern in unserer Familie haben acht die Hochschulreife und vier auch Hochschulabschlüsse erlangt, darunter ein Apotheker, ein PR-Berater, ein Lehrer und ich, der Arzt. Wir schulden unserer Mutter Anerkennung für unseren Erfolg, auch wenn sie durch die Umstände gezwungen war, Überleben als wichtiger anzusehen als Bildung.
Ich machte 1975 meinen Schulabschluss. Ich bewarb mich sofort um ein Stipendium und wurde schließlich an der Universität Kairo zum Studium zugelassen. Mir ist heute klar, dass erst dadurch, dass ich von zu Hause fort und nach Kairo ging, die Familie der ersten Ehefrau und die der zweiten Ehefrau meines Vaters zusammenfanden. Ich war der Erste unter den Abuelaishs, der an einer Universität zugelassen wurde. Meine Abreise nach Kairo war ein großes Ereignis für meine Brüder und Schwestern, in der Tat für die gesamte Familie und jeden aus meinem Heimatdorf Houg. Aus dem Camp Jabaliya waren nur vier Studenten zum Medizinstudium zugelassen worden.
Aus meiner Familie kamen alle, um auf Wiedersehen zu sa gen, selbst meine Halbbrüder. Einer von ihnen kam den ganzen Weg von Saudi-Arabien angereist, um mir Glück zu wünschen. Diese Zusammenkunft half mir zu erkennen, dass es besser ist, nach vorn zu sehen, statt in der Vergangenheit hängen zu bleiben. Und es gab so Vieles, dem man entgegensehen konnte. Ich nahm die Fragen, die mich seit meiner Kindheit so stark beschäftigten, mit in die weite Welt. Wie kam es, dass ein palästinensisches Kind nicht wie ein israelisches Kind lebt? Warum müssen palästinensische Kinder in irgendwelchen harten Jobs schuften, nur um zur Schule gehen zu können? Wie kann es sein, dass wir keine medizinische Hilfe bekommen, wenn wir krank sind, während das für israelische Kinder selbstverständlich ist? Unaufhörlich wunderte ich mich über diese Trennung zwischen Israelis und Palästinensern und darüber, dass es so aussah, als könnte sie nicht überwunden werden. Wir waren Menschen, die mehr gemeinsam hatten, als sie trennte, und obwohl ich jung und ahnungslos war, hatten mir meine Arbeitserfahrungen in Israel einen gewissen Stolz verliehen, der für mich zu einer Art Mantra geworden war: »Ich bin ein Palästinenser aus dem Flüchtlingscamp von Jabaliya im Gazastreifen, und ich bin genau wie ihr.«
DREI
Ein eigener Weg
1975 verließ ich Gaza, um mein Studium an der Universität von Kairo aufzunehmen. Dieses Abenteuer würde mich meinem Traum, der erstickenden Armut meiner Familie zu entkommen, einen Schritt näher bringen. Ich war aufgeregt und voller Erwartungen an diese neue Etappe meines Lebens. Das Stipendium war ein Tor zur Welt, ein Zugang zum Lernen, das meine Leidenschaft geworden war. Ich fühlte mich am Anfang einer Reise, um die ich gebetet hatte, seit ich ein kleines Kind war.
Ich hatte mich während meines letzten Schuljahres um das Stipendium beworben. Die Universität von Kairo ließ jedes Jahr zweihundert palästinensische Studenten in zwanzig verschiedenen Fakultäten zu, darunter Medizin, Ingenieurswesen, Pharmazie, Lehramt und Jura. Ich hatte Spitzennoten, daher hoffte ich, ich könnte an die
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