Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)
wenn das, was sie durchgemacht hatte, alles andere als nichts war.
In einem Anfall sinnloser Rage schnappte sie sich das schmutzige Kleid und warf es mitsamt den Schuhen in den Müll. Sie hätte die Sachen nie mehr tragen können, ohne an Dinge erinnert zu werden, die sie lieber vergessen wollte. Sie knallte den Deckel der Abfalltonne zu. Jetzt konnte sie nur hoffen, dass ihre Entscheidung richtig gewesen war – dass ihr Spiel aufging –, denn wenn sie falschlag, hatte sie einem gefährlichen Psychopathen zur Freiheit verholfen.
Sie sah auf die Uhr. Eigentlich hätte sie schon in der Redaktion sein sollen, aber vorher musste sie noch woandershin.
32
A ls Liz an die Tür kam, schlug Nicky eine Wolke von verbranntem Toast entgegen.
»Das ist ja eine Überraschung.« Liz verschränkte die Arme und lehnte sich an den Türrahmen.
»Kann ich reinkommen?«
»Natürlich.« Und nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: »Alles in Ordnung? Du siehst echt übel aus.«
Wie dezent, dachte Nicky, typisch Liz. Es gab keine Anzeichen dafür, dass die sengende Hitze nachlassen würde, und sie fühlte sich kein bisschen wohl in den Jeans und dem hochgeschlossenen, langärmeligen Pulli. Sie hatte ihre Schrammen verbergen wollen, doch bei den Kratzern an den Händen war das unmöglich.
»Ich bin hingefallen und hab mir den Knöchel verstaucht, aber es wird schon besser«, erklärte sie leichthin.
»Komm rein, Dan ist gerade in der Küche ›kreativ‹.« Mit ironischem Grinsen winkte Liz sie näher und ging durch den engen Flur voran. »Wenn er so weitermacht, müssen wir die Feuerwehr rufen.«
Nicky folgte ihrer Schwägerin in den hinteren Teil des Hauses und begrüßte Dan, der etwas murmelte und sich mit einem Teller voller Toast davonmachte. Überall auf Tresen und Boden ließ er kohlenstaubähnliche Krümel zurück.
Als er weg war, lenkte nichts mehr die beiden Frauen ab, und Nicky senkte verlegen den Blick.
»Na los, setz dich«, sagte Liz und rückte ihr einen Stuhl zurecht. »So. Hast du viel zu tun?« Sie musterte sie vorwurfsvoll.
Nicky lachte leise. »Nein, ich habe ein paar Tage frei«, log sie.
»Und da kommst du bei dieser Affenhitze nach Südlondon gereist, um mich zu besuchen.«
Lächelnd parierte Nicky die Spitze. »Es gibt etwas, worüber ich mit dir reden möchte.«
Liz lehnte sich rücklings an den Küchenschrank und drückte dabei eine kaputte Tür zu.
»Okay, fang von vorn an. Das ist immer das Beste.«
»Wie war Greg in jüngeren Jahren?«
»Greg?« Liz schien überrascht und irritiert zugleich. »Komische Frage. Warum willst du das wissen?« Sie klang wachsam, misstrauisch.
Lügen sind am überzeugendsten, wenn sie auf der Wahrheit beruhen, dachte Nicky. »Also, um ganz ehrlich zu sein, Greg und ich haben es zurzeit nicht leicht miteinander, und ich dachte, wenn ich mehr über seine Vergangenheit wüsste, könnte uns das vielleicht helfen.«
Sie registrierte die Neugier in Liz’ Blick.
»Das tut mir leid. Ehrlich. Glaub mir, ich weiß, wie schwer es ist, eine Ehe in der Spur zu halten. Du kannst froh sein, dass ihr keine Kinder habt – dann wäre es noch zehnmal schlimmer.«
Unangenehm berührt beugte Nicky sich vor und schaute zu Boden.
»Entschuldige! Tut mir leid, ich hab es nicht so gemeint.«
Doch, das hast du, dachte Nicky, genau so hast du es gemeint. Einen Augenblick lang schwiegen sie beide.
»Was für Schwierigkeiten habt ihr denn, wenn ich fragen darf?«
Verlegen zog Nicky mit dem Finger eine Linie in die schwarze Krümelschicht auf dem Tisch. »Ach, ich weiß nicht, er kommt mir so verändert vor, seit wir geheiratet haben. Er ist so distanziert, irgendwie so weit weg von mir.«
Liz seufzte theatralisch. »Ich schätze, er hat Angst. Nach dem, was er durchgemacht hat, ist das ja auch nicht weiter verwunderlich.«
»Vielleicht würden ihm ein paar Sitzungen beim Therapeuten guttun, aber das will er partout nicht. Ich habe es aufgegeben, darum zu streiten.«
»Er kann ziemlich stur sein.«
»Also … vor Grace?«
»Grace …« Liz verstummte, öffnete den Kühlschrank und förderte einen mit Nelken gespickten Schinken zutage. Dann nahm sie ein Tranchiermesser aus der Schublade und fing an, feine Scheiben abzuschneiden. »Na ja, da gab es jede Menge Frauen – du kennst Greg ja.«
Nicky nickte. Grace hatte das Gleiche gesagt.
»Grace war jung und unternehmungslustig und attraktiv, aber da war noch mehr. Sie war keine von diesen schicken PR -Tanten und hat nicht
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