Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)
wieder, da war für niemanden sonst Raum. Jetzt zeichnete Liz nebenbei das Bild eines ganz anderen Lebens, eines Lebens vor Grace, in dem es auch schon ein Drama und großen Schmerz gegeben hatte. Es kam ihr vor, als lese sie Gregs früheres Leben wie ein Buch, als zeigten die einzelnen Kapitel, wie er zu dem Mann geworden war, den sie geheiratet hatte, dem Mann, der solche Geheimnisse vor ihr hatte.
»Was er erlebt hat, ist nicht ohne Folgen geblieben. Er ist unheimlich auf Sicherheit bedacht, und er ist durch und durch misstrauisch! Zu mir hat er gesagt, dass er nur noch im Erdgeschoss wohnen will! Ich meine – ehrlich!«
Nicky stieg darauf ein. »Von mir verlangt er, dass ich sämtliche Sicherungen rausdrehe, wenn ich nur eine Glühbirne wechseln will.«
»Siehst du? Sag ich doch.«
Sie lachten beide.
»Du magst deinen Bruder sehr, oder?«
Liz hielt sich nicht länger mit dünnen Scheiben auf, sie schnitt ein ordentliches Stück vom Schinken und begann, herzhaft zu kauen.
»Noch lieber als Schinken.«
Jetzt kicherten sie beide, etwas, das Nicky bei Liz noch nie gehört hatte. Die gestresste, pragmatische Sozialarbeiterin und alleinerziehende Mutter hatte sehr wohl eine weiche Seite. Vielleicht würde sie zu ihrer Verbündeten?
»Und wo ist Francesca jetzt?«
Liz klatschte ihr Schinkenstück auf den Tresen, verschränkte die Arme, kniff die Augen halb zu und fixierte sie. Nicky schluckte. Jetzt war etwas schiefgelaufen. Es wurde sehr still in der Küche. Als Liz endlich redete, war ihr Ton eisig.
»Du kleines Biest. Gar nichts hat er dir erzählt, stimmt’s?«
Nicky klappte den Mund auf, wusste aber nichts zu sagen. Als Liz einen Schritt auf sie zu machte, wurde sie winzig in ihrem Stuhl.
»Du verlierst den Boden unter den Füßen, Kleine. Wenn du nicht aufhörst, gehst du unter.«
Nicky sprang auf und griff nach ihrer Tasche. Das Gespräch war offensichtlich beendet.
Als sie durch den Flur zur Haustür hastete, rief Liz ihr nach: »Unwissenheit ist ein Segen, Nicky. Lass es dabei!«
Mit einem Krachen fiel die verzogene Tür ins Schloss, und es wackelten buchstäblich die Wände. Liz ging in den Flur, zur Treppe, und spähte nach oben. Dans Tür war zu. Es gab keine Zeugen, aber sie war trotzdem wütend auf sich. Wie hatte sie sich dermaßen einwickeln lassen können? Und das, nachdem sie so viele Jahre den Mund gehalten hatte. Andererseits – so war sie eben: Sie versuchte, die Fehler auszubügeln, die andere machten, half denen, die nicht weiterkamen, leistete im Verborgenen schwierige Arbeit, die von niemandem anerkannt wurde. Für das, was sie tat, würde es nie eine Gala im Fernsehen geben mit Schlips und Kragen und allem, so viel war klar. Ihr würde nie jemand auf die Schulter klopfen oder albern applaudieren.
Steif kehrte sie in die Küche zurück, nahm sich noch ein Stück Schinken und betrachtete es eingehend. Fettstränge zogen sich durch das Fleisch. Sie waren wie einmal begangene Fehler, die sich auf das gesamte weitere Leben auswirkten. Man konnte versuchen, sie herauszuschneiden, aber Spuren hinterließen sie dennoch.
Sie legte das Fleisch auf den Teller zurück, ihr war der Appetit vergangen. Stattdessen griff sie zum Telefon. Die Nummer war gespeichert. Sie rief an und hinterließ eine kurze Nachricht.
»Du musst aufpassen. Sie kriegt’s heraus.«
33
N achdem sie Nicky ins Krankenhaus gebracht hatten, war Troy von einem Polizisten befragt worden. Er hatte einen falschen Namen angegeben und den passenden gefälschten Ausweis gezeigt. Ihm waren verschiedene Szenarien durch den Kopf gegeistert. Er hatte zugesehen, wie der Officer seine Angaben notierte. Auf keinen Fall hatte er seinen Namen schwarz auf weiß mit der Sache in Verbindung gebracht sehen wollen, und sei es noch so entfernt. Die beiden Uniformierten, die sich Nickys verworrene Geschichte angehört hatten und Gesichter zogen, als seien sie auf der Jagd nach dem weißen Hai, waren zu dem großen Haus gefahren. Er hätte nachgefragt, hätte versucht, genauere Informationen zu kriegen, aber es war offensichtlich gewesen, dass die Typen noch weniger Ahnung hatten als er. Von einem reichen Schnösel hatte Struan sich fertigmachen lassen! Wäre er nicht erledigt gewesen, er hätte sich schämen müssen. Er hatte einen grundlegenden Fehler begangen, der Troy nie unterlaufen wäre: Er hatte den Gegner unterschätzt. Hatte nicht vorhergesehen, wie brutal ein Mann werden konnte, der auf seinem eigenen Grund und Boden in
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