Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)
daran, dass er Erfolg haben würde. Grace besaß ein gutgehendes kleines Lokal. Das Startkapital hatte sie von ihrem Vater bekommen. Grace und Greg verliebten sich ineinander, er machte ihr einen Antrag, und sie sagte ja. Sie heirateten, und als ein paar Monate später Grace’ Dreißigster näher rückte, hatte Nicky angefangen, ihr zuzureden, dass sie die runde Zahl ordentlich feiern müsse. Sie würden Spaß haben, zusammen wegfahren und es sich, wenn Greg schon nicht dabei sein konnte, gutgehen lassen.
Nicky stand in der Kabine und starrte ihr Spiegelbild an. Zu keinem der Freunde von damals hatte sie noch Kontakt. Die wechselseitigen Beschuldigungen und Verdächtigungen hatten zerstört, was zwischen ihnen gewesen war. Die Medien hatten sich auf die Geschichte gestürzt, aber die Polizei hatte den Fall nicht aufklären können. Es war nie jemand angeklagt worden, ein Prozess hatte nie stattgefunden. Die Sache mochte undurchsichtig erscheinen, aber ein paar Tatsachen standen doch zweifelsfrei fest: Grace war getötet worden, bevor sie ins Wasser geworfen wurde, und sie hatten eine Blutspur gefunden, die vom See wegführte, vermutlich zu einem Auto. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte der Mörder die Alarmanlage in Gang gesetzt, damit niemand hörte, wie er selbst wegfuhr.
Nicky erzählte gern, dass am Anfang alles ganz leicht gewesen sei mit ihr und Greg. Ihr war klar, dass das angesichts der Umstände absurd klang, andererseits waren sie durch eine Tragödie miteinander verbunden und verliebten sich wie von selbst ineinander. Das Leben erschien kostbar, das Schicksal war grausam, die Zeit knapp bemessen. Schnell und heftig war sie ihm verfallen, und ihm war es nicht anders gegangen. Es war, als könnten sie durch ihr Beisammensein Grace am Leben erhalten. Und das hatte anderthalb Jahre lang wunderbar funktioniert – bis zu dem Tag, an dem sie geheiratet hatten. Schwierig war es erst danach geworden. Mit der Hochzeit hatte sich alles verändert.
Greg schob seinen Kopf herein und musterte sie von oben bis unten. »Schön. In dem siehst du toll aus. Komm her.« Über den Kleiderhaufen am Boden hinweg zog er sie an sich und gab ihr einen Kuss. »Das kaufen wir, und dann gehen wir was essen, ja? Ich bin am Verhungern.«
Sie fuhren mit der Rolltreppe ins Erdgeschoss, gingen an den Hüten vorbei, und dann machte Greg am Blumenstand halt. »Ich hol mir schnell ein Notizbuch«, sagte Nicky. »Bin in einer Minute wieder da.«
Greg nickte, und sie lief hinüber in die Schreibwarenabteilung, wo sie einen Augenblick brauchte, um sich zwischen einem grünen und einem gelb gemusterten Heft zu entscheiden. Nachdem sie gezahlt hatte, kehrte sie zum Blumenstand zurück, konnte Greg jedoch nirgends entdecken. Eine Weile blieb sie einfach nur stehen und schaute sich nach allen Seiten um, dann begann sie, suchend Kreise zu ziehen. An Designer-Taschen vorbei kam sie zur Beauty-Abteilung, wo sie an einem der gläsernen Verkaufstresen sein breites Kreuz ausmachte. Hinter dem Tresen stand eine Frau, die fast noch wie ein Kind aussah. Nicky hielt sich versteckt, falls Greg etwas für sie kaufte – sie wollte die Überraschung nicht kaputt machen. Da beugte die Verkäuferin sich plötzlich vor und berührte Greg am Arm. Nicky sah zu, wie das Lipgloss-Lächeln erstarb und einer besorgten Miene wich.
»Geht’s Ihnen gut?«
Als ihrem Mann der Blumenstrauß aus der Hand fiel, rannte sie los. Die junge Frau war hinter ihrem Tresen hervorgekommen, blieb aber unsicher stehen. Nicky sah Greg vornüber auf den Tresen sacken. Sie streckte ihm eine Hand hin, wusste nicht, ob er in Ohnmacht fiel oder nicht. Sein Gesicht war kalkweiß, er hatte die Augen geschlossen.
»Greg, was ist los?«
Er antwortete nicht. Es schien, als habe er sie nicht gehört, als sei ihm nicht einmal bewusst, dass sie da war. Es dauerte einen Augenblick, bis sie mitbekam, dass seine Hand etwas umklammerte, das die Verkäuferin ihm abzunehmen versuchte. Eine Parfümflasche.
»Ich habe ihm die Neuauflage von einem Klassiker gezeigt. Er hat daran gerochen, und dann ist das passiert.« Sie hatte eine tiefe Stimme. Ihrer Aussprache nach war sie Australierin.
»Greg?«
Offenbar unter großer Anstrengung öffnete er die Augen und richtete sich auf. »Alles okay, mir geht’s gut.«
»Du siehst aber nicht gut aus.«
Die Verkäuferin lächelte. »Parfüm kann viel bewirken, es kann Gefühle und Erinnerungen heraufbeschwören. Viele Frauen benutzen jahrelang nichts
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