Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)
Kette war so, wie sie sie in Erinnerung hatte, aber wann hatte sie sie zuletzt gesehen? Sie konnte sich nicht erinnern.
»Ja … Ich denke schon. Oder eine ganz ähnliche. Wo haben Sie sie her?«
»Der Verschluss ist kaputt.«
»Als ich sie zuletzt getragen habe, war er in Ordnung.«
»Diese Kette hielt Louise Bell umklammert, als sie in ihrer Wohnung erschossen aufgefunden wurde.«
»Das kann nicht sein. Ich …«
Sie sah, wie der Anwalt sich zu ihr umdrehte und sie erwartungsvoll ansah. Sie sahen sie alle erwartungsvoll an. Sämtliche Aufmerksamkeit war auf sie gerichtet. Sie hatte die Kette auf der Fahrt nach Hayersleigh getragen. Mit geradezu schmerzhafter Deutlichkeit erinnerte sie sich, wie sie im Bad gestanden und sich für den Ausflug fertig gemacht hatte. Sie hatte lange über ihr Outfit nachgedacht, hatte alle möglichen Szenarien gedanklich durchgespielt. So viele Varianten, nur nicht die, die es dann geworden war. Die Kette hatte sie angelegt, weil sie sich damit jung fühlte, weil sie ein Geschenk von Greg war und sie dachte, das würde sie vielleicht davon abhalten, zu weit vom Pfad der Tugend abzuweichen. Sie hatte auf ihre kleine Flucht hinaus aufs Land etwas von Greg mitnehmen wollen.
»Nicky?«
Und der Kontrast zwischen ihrer Ankunft dort und ihrer Flucht – sie war barfuß gewesen, verletzt, halb tot vor Angst, war über eine Mauer geklettert und wie ein Tier auf allen vieren durch den Schmutz gekrochen – hätte größer nicht sein können. Hatte sie die Kette da noch gehabt? Sie wusste es nicht. Aber es schien ziemlich klar, was passiert war.
»Ich habe die Kette getragen, als ich im Haus Hayersleigh ankam.« Sie brachte es noch nicht einmal fertig, seinen Namen zu erwähnen. »Ich vermute, sie ist mir dort abgenommen worden, oder ich habe sie verloren.«
»Wo waren Sie am Donnerstag, dem fünfundzwanzigsten August?«
»Vorgestern? Da habe ich meine Schwägerin in Brockley besucht.«
»Wann waren Sie dort?«
»Morgens bin ich hingefahren, und mittags bin ich wieder gegangen.«
»Und danach?«
»War ich zu Hause.«
»Den ganzen Tag?«
»Ja.«
»War jemand bei Ihnen? Ist jemand vorbeigekommen?«
»Nein.«
»Wir brauchen Ihr Handy, um Ihre Aussage zu überprüfen.«
»Zu dem Zeitpunkt hatte ich kein Handy.«
»Sie haben kein Handy?« Webster musterte sie skeptisch.
»Ich hatte es verloren und habe erst ein Ersatzgerät bekommen, als ich am nächsten Tag wieder zur Arbeit kam.«
»Besitzen Sie eine Schusswaffe, Nicky?«
»Eine Schusswaffe? Natürlich nicht!«
»Eine Schrotflinte?«
»Nein.«
»Gibt es im Haus Hayersleigh Gewehre?«
Nicky zögerte. »Ja«, sagte sie schließlich.
»Wie viele?«
»Zwei. Sie waren in einem Gewehrschrank eingeschlossen.«
»Haben Sie Adam eins der Gewehre benutzen sehen?«
Sie dachte daran, wie Adam auf sie angelegt hatte.
»Haben Sie Adam ein Gewehr benutzen sehen?«
»Nein.«
»Louise Bell war die Freundin von Struan Clarke.«
Jenny sah, wie Nicky erschrak. Das konnte sie nicht verbergen – aber konnte sie es spielen? Wenn sie es spielte, dann verdammt gut.
Nicky schüttelte den Kopf. »Ich verstehe das nicht …«
Martin Webster schnaubte. »Als Detective Inspector Broadbent Sie vor wenigen Tagen vernommen hat, haben Sie in aller Ausführlichkeit Ihre Aussage geändert und damit wertvolle Stunden Polizeiarbeit vergeudet. Die Gerichte schätzen Frauen, die ihre Aussage ändern, nicht sonderlich. Welches ist denn hier nun die wahre Geschichte?«
»Ich kenne diese Frau nicht!«
Martin Webster wurde wütend. »Ich glaube, Sie erkennen den Ernst Ihrer Lage nicht. Hier geht es um Doppelmord! Der Tod von Struan Clarke konnte als Folge des Einbruchs gesehen werden, aber der von Louise Bell? Sie ist in ihrem eigenen Wohnzimmer über den Haufen geschossen worden und hielt Ihre Kette in der Hand!«
Jetzt bekam Nicky Angst, eine schreckliche innere Unruhe ergriff sie. Sie hatte komplett den Boden unter den Füßen verloren, war ein Stück Treibgut, das von einer Katastrophe in die nächste geschleudert wurde, ehe sie auch nur Luft holen konnte.
»Greg Peterson ist Ihr Mann?«
»Ja.«
»Dessen frühere Frau, Grace Peterson, ermordet worden ist.«
»Ja.«
Webster legte eine dramatische Pause ein. »Wie lange nach ihrem Tod sind Sie und Greg zusammengekommen?«
Nicky lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Sie ahnte, dass es jetzt unangenehm werden würde.
»Ich verstehe Sie nicht …«
Natürlich verstand sie ihn, ganz genau.
Weitere Kostenlose Bücher