Du sollst nicht schlafen: Thriller (German Edition)
Aufregung, als er fragte: »Wann war das?«
»Das ist schon eine Weile her … über ein Jahr.« Sie riss die oberste Schreibtischschublade auf und zog einen Notizblock hervor, auf dem »Martin Gibbons« stand. Sie blätterte darin und überflog ihre Anmerkungen. »Was ich dir jetzt erzähle, ist streng vertraulich. Du musst mir versprechen, dass du es unabhängig von mir überprüfst, sonst könnte mein Informant Ärger bekommen. Versprochen?«
»Versprochen.«
»Gut. Die Niton-Studie hat Mitte Februar letzten Jahres begonnen. Jeff Loomis war unter falschem Namen dort, er hat sich als Martin Gibbons ausgegeben. Nach etwas mehr als drei Wochen als Proband bekam er Wahnvorstellungen und wurde weggebracht. Später hat jemand bei Draycott seinen Namen und damit sämtliche Beweise für seine Teilnahme an der Studie entfernt. Vermutlich weil man herausfand, dass er sich unter falschem Namen eingeschmuggelt hatte.« Sie sah sich flüchtig im Redaktionsraum um und legte die Hand um die Sprechmuschel. »Meinst du, Niton hat ihn verrückt gemacht?«
Eine nachdenkliche Pause entstand. Cynthia wartete. Die Tür zu Nicks Büro musste offen stehen, denn sie hörte die Geräuschkulisse eines Polizeireviers: Telefonklingeln, Türenknallen, hin und wieder ein paar Gesprächsfetzen (»Madam, wenn Sie sich bitte beruhigen würden«).
»So verführerisch diese Theorie auch sein mag – nein, das glaube ich nicht«, sagte Nick schließlich. »Die ersten beiden Morde fanden vor Beginn der Studie statt, sodass er nichtunter Niton-Einfluss gestanden haben kann, als er sie beging.«
»Oh«, sagte Cynthia enttäuscht.
»Trotzdem, es ist interessant, dass man alle schriftlichen Beweise vernichtet hat. Egal, ob er sich nun unter falschem Namen eingeschmuggelt hat oder nicht: Es kann eigentlich nicht sein, dass man Menschen wochenlang ungetestete Medikamente verabreicht und dann so tut, als wäre nie etwas geschehen. Es muss doch Unterlagen dazu geben.«
»Vermutlich wollte Draycott verheimlichen, dass ein psychisch Kranker als Proband zugelassen wurde.«
»Kann sein.« Nick klang nicht sehr überzeugt.
»Welchen Grund sollte es sonst geben?«
»Hör zu, ich muss Schluss machen«, sagte Nick hastig. »Wir reden weiter, wenn Anklage gegen Loomis erhoben wird.«
Und er legte auf.
36
Gesichter, die mich anstarrten. Kurz schienen sie alle ineinanderzufließen wie Tropfen zu einer Pfütze. Zu einer Pfütze aus Augen. Sie durchbohrten mich.
Der Stuhl im Gerichtssaal war hart und unbequem. Ich rutschte nervös darauf herum, und meine Handschellen klirrten leicht. Als ich versuchte, die Hände voneinander zu lösen, schnitten mir die Handschellen schmerzhaft in die Haut. Ich zog erneut daran. Schmerz tat gut. Er war etwas Wirkliches.
Der Verteidiger sprach wieder mit dem Richter, und ich sah, wie die Worte nur so aus ihm herausströmten. Sie sahen aus wie schwarze Flüssigkeit: flüssige Worte für flüssige Gesichter. Alles floss ineinander.
Ich hatte Menschen etwas angetan. Frauen. Das behaupteten zumindest alle. Aber es stimmte nicht. Natürlich war ich wütend auf Katrina gewesen, das schon. Und ja, manchmal hatte ich mir auch vorgestellt, ihr etwas anzutun. Nach dem, was sie getan hatte, war das doch nur normal, dass ich diese Gefühle hatte. Ich kniff die Augen zu, versuchte, die leiernde Stimme auszublenden. Mich zu konzentrieren. Ich musste meine Gedanken festhalten, sie durften mir nicht entgleiten.
Hatte Katrina mich überhaupt betrogen? Ich hatte gesehen, wie sie andere Männer geküsst hatte, und … dem ein Ende bereitet. Aber sie war anschließend immer wieder nach Hause gekommen, deswegen wusste ich, dass ich mir alles nur eingebildet hatte. Täuschend echte Tagträume. Inletzter Zeit spielte mir das Gedächtnis ständig solche Streiche. Böse Streiche.
Was machte ich hier eigentlich? Warum verurteilten mich alle? Ich sah mich im Gerichtssaal um. Die Gesichter wirbelten jetzt nicht mehr durcheinander, sondern waren nur noch ganz normale Gesichter. Einige waren mir zugewandt, und ich konnte Abscheu darin sehen. Und noch etwas anderes. Angst.
Warum? Begriffen die denn nicht, dass das ein einziges großes Missverständnis war? Ich hatte Katrina nichts angetan. Sie war hier, heil und wohlbehalten, irgendwo in diesem Gebäude. Sie wollten mich für etwas bestrafen, das ich nur in Tagträumen erlebt hatte. Und für Träume kann man nicht bestraft werden … oder?
Cynthia starrte von der Pressetribüne aus auf den
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