Du sollst nicht schlafen: Thriller (German Edition)
Verteidiger.«
Cynthia klappte den Teekannendeckel auf. Ein aufgeblähter Teebeutel verströmte bräunliche Wirbel, die sie an Blut erinnerten. Sie machte den Deckel gleich wieder zu. »Sind Sie mit allen Verteidigern auf du und du?«
»Ach, wenn man schon so lange Gerichtsreporter ist wie ich, kennt man die Hauptakteure. Aber viele von den Verteidigern hier würden mir niemals erlauben, sie mit Vornamen anzusprechen. Die meisten legen sich mit ihrer Perücke auch eine gehörige Portion Arroganz zu. Aber David ist ein feiner Kerl. Er muss sich so einiges anhören, weil er am Schlafen festhält. Irgendwie respektiere ich ihn dafür. Er mag altmodisch sein, unterwirft sich aber nicht dem Gruppenzwang.«
Jetzt wurde es laut, als eine lärmende Gruppe geschniegelter junger Männer und hübscher Frauen mit knalligem Lippenstift hereinplatzte, insgesamt etwa ein Dutzend Personen. Ihr fiel die helle Haut unter ihren Augen auf.
Sie wandte sich wieder Drew zu. »Was wollen Sie damit sagen? Dass der Verteidiger in diesem Prozess als einziger Gerichtsanwalt kein Shifter ist?« Die ausgelassenen Neuankömmlinge stellten sich an. Cynthia sah aus dem Augenwinkel, wie ein Muffin durch die Luft geworfen wurde.
»Nein«, sagte Drew. »Es gibt hier noch jede Menge alte Knacker, die schlafen. Aber David ist erst vierzig und in einer sehr jungen Kanzlei – alle seine Kollegen sind längst Shifter. Ich weiß wirklich nicht, wie er da mithält, aber irgendwie schafft er es.«
Drew zog seinen Stuhl ein Stück vor, als die Schläfer sich hinter ihm zum Nachbartisch durchquetschten. Cynthia musterte sie neugierig. »Verteidiger in spe?«, fragte sie.
»Ganz und gar nicht. Eine zum Scheitern verurteilte Sammelklage: Flugbegleiter einer Billig-Airline, die wegen Diskriminierung klagen. Man hat ihnen gesagt, dass sie shiften oder sich einen neuen Job suchen sollen.«
Cynthia runzelte die Stirn. »Warum zum Scheitern verurteilt? Für mich klingt das eindeutig nach Diskriminierung. Ich wundere mich, dass Sie nicht darüber berichten.«
Drew zuckte die Schultern. »Solche Fälle gibt es zuhauf. Dieser mörderische Lastwagenfahrer hat ihnen Tür und Tor geöffnet: Wenn eine Branche im Interesse der öffentlichen Sicherheit Schläfer ausschließen darf, sollte das allen anderen auch erlaubt sein.«
»Ach, kommen Sie. Es geht hier um Flugbegleiter. Wieso ist es ein Sicherheitsrisiko, wenn sie nach der Arbeit schlafen wollen? Meiner Meinung nach ist das nur ein Vorwand der Fluglinien, um Personal loszuwerden, das keine Lust auf extreme Überstunden und unregelmäßige Schichtpläne hat.«
Drew schüttelte den Kopf. »Das sehe ich anders. Was, wenn es am Ende eines Langstreckenflugs einen Notfall gibt? Auf einem Australienflug zum Beispiel. Wer wäre Ihnen da lieber: Ein Shifter oder ein fast schon bewusstloser Schläfer, der seit zwanzig Stunden auf den Beinen ist? Das Oberste Gericht hat bereits entschieden, dass Schläfer nicht wegen Diskriminierung klagen können, weil Schlafen oder Nichtschlafen eine freie Entscheidung ist. Ganz im Gegensatz zu einer bestimmten Rassenzugehörigkeit oder einer Behinderung.« Er trank seinen Kaffee aus und zerknüllte den Pappbecher, bevor er hinzufügte: »Wenn Leute sich selbst freiwillig benachteiligen, müssen sie auch damit leben, dass sie …« Er wedelte mit der freien Hand in der Luft herum, als suche er nach dem richtigen Wort.
»… benachteiligt werden?«, schlug Cynthia vor.
Er zielte mit dem verformten Becher auf einen Mülleimerund grinste, als der Becher erst vom Rand abprallte, dann aber doch noch hineinfiel. »Ganz genau. Verstehen Sie mich nicht falsch, es gibt viele Berufe, die sich mit Schlaf ohne Weiteres vereinbaren lassen. Na ja, viele vielleicht nicht, aber ein paar bestimmt. Und wer hart arbeitet, kann die Nachteile ausgleichen. So wie David MacNamara zum Beispiel. Aber im Großen und Ganzen wäre die Welt sicherer, wenn kein Unternehmen Leute einstellen würden, deren Urteilsvermögen im Laufe des Tages nachlässt, bis es sich irgendwann ganz abschaltet. Und auch wenn man das Thema Sicherheit einmal außer Acht lässt: Warum sollten Shifter Mehrarbeit für Kollegen leisten, die beschlossen haben, ein Drittel des Tages nicht existent zu sein? Hier zum Beispiel verstopfen die Schläfer mit ihren Diskriminierungsklagen bloß die Gerichte und verschwenden unsere Zeit.«
»Aber Sie können doch nicht …«
Drew sah auf die Uhr und sprang auf. »Verflixt, ich muss los, zu einem
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