Du sollst nicht schlafen: Thriller (German Edition)
sollten wir lieber …«
Er legte den Zeigefinger auf ihre Lippen, um sie zum Schweigen zu bringen. Ein Stück weiter vorn ertönten Stimmen.
»… sind verängstigt wegen der dunklen Ringe um ihre Augen.« Die Stimme der Frau übertönte das laute Gurgeln einer Kaffeemaschine.
Der Mann sagte abfällig: »Als ob die Kerle vorher schön gewesen wären! Ich wette, die …«
Damien schlich auf Zehenspitzen durch den Flur, dicht gefolgt von Cynthia. Die Stimmen kamen hinter einer halb geöffneten Tür mit der Aufschrift »Personal« hervor. Damien blieb vor dem gegenüberliegenden Zimmer stehen. An der Wand neben der Tür befand sich ein Tastaturfeld. Er gab eine Zahlenkombination ein, bevor er vorsichtig den Türknauf drehte. Ein Klicken ertönte, und Cynthia erstarrte. Aber das lebhafte Gespräch im Personalraum wurde ohne Unterbrechung fortgesetzt.
Damien zog Cynthia hinter sich in das Zimmer und schloss die Tür. »Hier sind wir in Sicherheit«, flüsterte er. »Das ist das Büro mit den Klinikberichten. Vor sieben kommt hier keiner rein.«
Cynthia sah sich in dem kleinen rechteckigen Raum um. Drei Schreibtische standen eng nebeneinander an einer Wand. Auf der anderen Seite befand sich ein Regal, das schier überquoll vor roten Ordnern. Darüber war ein Fenster mit heruntergelassener Jalousie. Cynthia sah Damienfragend an. »Ich gehe mal davon aus, dass du mir nicht das hier zeigen wolltest?«
» Au contraire« , sagte er und zog an der dünnen Plastikkordel der Jalousie. Die Lamellen öffneten sich und gaben nicht etwa den Blick auf die Außenwelt frei, sondern auf einen benachbarten Raum. Cynthia trat näher. Die Szenerie kam ihr bekannt vor: Es war ein großer Raum voller ungepflegter Männer. Einige standen um einen Billardtisch herum, andere lümmelten vor einem Fernseher. Von der einen Seite gingen mehrere Schlafräume ab, auf der anderen lag ein durch eine Glaswand abgetrenntes Labor. »Der Klinikbereich«, sagte sie.
»Ganz genau.«
Sie betrachtete den Anblick, der sich ihr bot. Es war kurz nach ein Uhr nachts, aber die Probanden schienen putzmunter. »Die Niton-Studie?«
»Ja.«
Cynthia sah sich die Gestalten in dem Raum näher an. Ein Mann mit einem Spinnennetz-Tattoo am Hals bereitete einen Billardstoß vor. Sein Gegner sah ihm dabei zu, er hatte den Queue an die Schulter gelegt wie ein Gewehr. Beide Männer hatten dunkle Ringe unter den Augen.
»Und die sind jetzt … wie lange wach?«, fragte sie. Sie merkte, dass sie undeutlich sprach und immer noch ein wenig betrunken war.
»Seit dreiundzwanzig Tagen.«
Sie beobachtete, wie der Tätowierte sich über den Billardtisch beugte und konzentriert seinen Queue entlangspähte. Dann schoss die weiße Kugel nach vorn, prallte an einer roten ab und schickte sie zielgenau in das Eckloch. Grinsend richtete er sich auf.
Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Erstaunlich.«
»Glaubst du mir jetzt, dass das Medikament unbedenklich ist?«
Sie drehte sich um und riss entsetzt die Augen auf. Damien saß auf der Kante eines der Schreibtische. In einer Hand hielt er ein offenes Glasfläschchen, in der anderen eine blau-weiße Kapsel.
»Ich bin so müde, Cynthia«, sagte er und starrte die Pille wie hypnotisiert an. »Und ich bin es müde, müde zu sein. Ich habe dich hergebracht, um dich zu beruhigen.«
Seine Hand wanderte zu seinen Lippen.
»Warte!«, rief Cynthia, während Panik ihr die Kehle zuschnürte. Sie stürzte mit ausgestreckten Armen auf ihn zu, um ihm die Pille zu entreißen. »Bitte tu das nicht …«
Aber es war schon zu spät. Damiens Hand zuckte zu seinem Mund, und sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse, als er die Kapsel ohne Wasser hinunterschluckte. Zitternd trat Cynthia einen Schritt zurück. Sie wandte sich wieder zum Fenster, lehnte die Stirn gegen die Scheibe und spürte den kühlen Halt, den sie ihr gab. Die Billardpartie war noch nicht beendet. Weiter hinten streckten sich Männer auf Sesseln vor dem DVD-Player und standen auf, der Film musste gerade zu Ende gegangen sein. Abgesehen von ihren Augenringen machten alle Probanden einen guten Eindruck. Sie wirkten vielleicht ein bisschen ungepflegt, aber das schien bei Draycott-Probanden normal zu sein. Vielleicht hatte Damien ja recht, und das Medikament war vollkommen unbedenklich. Vielleicht war das Gefühl von Bedrohung, das sie nicht abschütteln konnte, weniger einem sicheren Instinkt als ihrer Vergangenheit geschuldet, die sie immer wieder heimsuchte und sie paranoid
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