Du sollst nicht schlafen: Thriller (German Edition)
diese erste Niton-Pille nur aus einem einzigen Grund genommen: Ich konnte es nicht ertragen, Katrina weinen zu sehen.
Mai
»Es ist, als hätte man mir ein ganz neues Leben geschenkt«, sagte Damien. Seine Augen glänzten im Schein der Kerze, die zwischen ihnen auf dem Tisch flackerte. »Und das nicht nur wegen des Albtraums: Du kannst dir nicht vorstellen, was für ein Gefühl das ist, niemals müde zu sein. Und durch die vielen zusätzlichen Stunden kann ich in meinem Tag so viel mehr unterbringen als nur Arbeit …« Er redete und redete, während Cynthia nickte und lächelte. Sie hatte das alles bestimmt schon ein halbes Dutzend mal gehört, seit Damien begonnen hatte, 24/7 einzunehmen.
Das Lamb and Flag hatte das Feierabendpublikum bereits abgefertigt. Jetzt wurde die Beleuchtung gedimmt und die Musik für die jungen, coolen Nachtschwärmer aufgedreht, die in Camden auf die Piste gingen. Cynthia war müde, und die Musik und die vielen Menschen gingen ihr langsam auf die Nerven. Sie war seit sechs Uhr früh auf, als Damien sie sanft angestupst und geflüstert hatte: »Cynthia? Bist du schon wach?« Und sobald ihre Augen einen Spaltweit geöffnetwaren, hatte er sie mit einem langen, intensiven Kuss unwiderruflich ins Bewusstsein zurückgeholt.
Und nun saß sie hier, vollkommen bettreif, und musste sich eine glühende Rede über die Vorzüge der Schlaflosigkeit anhören. Aber Damien machte einen glücklichen, gesunden Eindruck, und das war schließlich die Hauptsache, sagte sie sich, während sie ihrem begeisterten Freund zulächelte.
»… dachte nur, du überlegst es dir vielleicht noch mal. Nach der langen Zeit siehst du ja, dass es unbedenklich ist.« Die plötzliche Veränderung in Damiens Tonfall riss sie aus ihren Gedanken. Er musterte sie eindringlich, und eine Anspannung lag in seinem Gesicht, die vorher noch nicht da gewesen war. Cynthia lauschte seinen letzten Sätzen nach und hatte das Gefühl, ins Bodenlose zu stürzen, als sie ihre Bedeutung begriff. Er wollte, dass sie 24/7 nahm. Dass sie eine Droge nahm. Der Boden schien unter ihr zu schwanken, als wäre sie an Bord eines Schiffes.
Damien beobachtete sie schweigend. Wartete.
Sie holte tief Luft und riss sich zusammen. »Du weißt, dass ich keine Tabletten nehme«, sagte sie gerade noch laut genug, um die Musik zu übertönen.
Er tat es mit einem Achselzucken ab. »Ja, du bist die Einzige, die ich kenne, die lieber Kopfschmerzen hat, als ein Aspirin zu nehmen. Aber hier geht es um etwas ganz anderes, nämlich um eine massive Verbesserung der Lebensqualität. Und der Lebens quantität . All diese zusätzlichen Stunden …« Er streckte den Arm aus und nahm ihre Hand, ließ seinen Daumen in ihrer Handfläche kreisen. »Die würde ich gern mit dir verbringen.«
Sie sah auf seine Hand, die ihre hielt, doch schon bei dem Gedanken, eine Pille einzunehmen, fühlte sie sich ganz gestresst. Sie sah ihm in die Augen. Sie konnte es nicht länger aufschieben – sie musste ihm jetzt die Wahrheit sagen.
»Damien, es gibt da was, was ich dir noch nie erzählt habe … weshalb ich mich mit Medikamenten so schwertue.« Sie brauchte einen Moment, bis sie sich wieder gefasst hatte und weitersprechen konnte. »Es hat mit meinem Vater zu tun. Damit, wie er gestorben ist.« Damiens Blick wurde mitfühlend und weich, und er schloss seine Hand fester um ihre. »Er ist nicht wirklich an Krebs gestorben. Der war gerade dabei, sich zurückzubilden, als es passiert ist.« Sie spürte, wie Tränen in ihr aufstiegen, und blinzelte, um sie zurückzudrängen. Damiens Gesicht war voll Liebe und Besorgnis. »Er hatte starke Schmerzen während des akuten Stadiums. Man gab ihm Hydromorphon dagegen. Weiße Pillen. Er hat sie weitergenommen, auch als der Schmerz weg war.« Sie senkte den Kopf, sodass ihr eine Locke in die Augen fiel.
Damien strich ihr die Locke zurück. »Du … du willst damit sagen, dass er süchtig war?«
Sie nickte, richtete sich auf und straffte die Schultern, entschlossen, die Geschichte zu Ende zu erzählen. »Nachmittags machte er immer ein Schläfchen. Eines Tages blieb er länger liegen als sonst. Da bin ich ins Schlafzimmer meiner Eltern gegangen … und habe ihn gefunden.«
Sie sah erneut die zugezogenen Vorhänge vor sich, die zusammengekrümmte Gestalt ihres Vaters. Das Weiß in seinen Augen, als sie ihn endlich dazu brachte, sie zu öffnen. Das Entsetzen darin.
»Ich wusste sofort, dass etwas nicht stimmt. Seine Atmung klang komisch, so als
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